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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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besonders. Das wird uns Indianern wohl mit der Muttermilch mitgegeben. Aber man kann nicht jeden Weißen, der nach Neah Bay kommt, für unsere Toten verantwortlich machen. Die Händler von damals, die die Krankheiten einschleppten, sind mausetot. Genauso wie unsere Vorfahren, die den Krankheiten zum Opfer fielen. Vieles ist schief gelaufen zwischen Indianern und Weißen, aber jetzt ist es an der Zeit, dass wir Makah uns auf unsere eigene Stärke besinnen und nicht mehr länger die Opfer sind.«
    Â»Ich bin auch weiß«, sagte ich. »Zu Hause sehen mich die Leute schief an, weil ich in ihren Augen ein seltsamer Vogel bin. Hier sehen die Leute durch mich hindurch, weil ich eine weiße Haut habe.«
    Â»Vorurteile gibt es überall«, meinte Javid. »Was hast du denn gedacht, als du zum ersten Mal durch die Straßen von Neah Bay gefahren bist?«
    Â»Ich dachte, dass das Wetter und die grauen Häuser gut zu meiner Stimmung passen«, sagte ich. »Und ich habe mich gefragt, was ihr Makah wohl für Menschen seid.«
    Â»Das war alles?«
    Â»Na ja. Ich wusste schon vorher, dass die meisten Indianer nicht reich sind.«
    Â»Woher wusstest du das denn?«
    Â»Wir lernen es in der Schule.« Langsam begann das Gespräch unangenehm zu werden, weil Javid mir mit seinen Fragen bewusst machte, wie wenig ich mich auf diese Reise vorbereitet hatte.
    Â»Ihr lernt also da drüben in Europa, dass die amerikanischen Ureinwohner arm und bemitleidenswert sind«, sagte er und sein Gesicht zeigte Verärgerung. »Aber wir sind gar nicht arm, Copper. Sieh dich doch um! Uns gehört der Strand, ein Stück Regenwald und das Meer. I want the sea. That’s my country, hat einer der Häuptlinge von Ozette gesagt. Wir Makah sehen sogar im Himmel den Ozean. Das Sternbild, das ihr Weißen Großer Bär nennt, heißt bei uns Rochen.Ich fühle mich nicht arm, Copper. Weil ich Fische fangen und sie auf einem Feuer braten kann, wann und wo ich will. Weil ich in einem Schlauchboot zwischen Walen sitzen kann, weil …«
    Ich schlug die Augen nieder. »Du brauchst mir das nicht zu erklären«, unterbrach ich ihn. »Ich habe es längst begriffen.«
    Â»Ja.« Javid nickte. »Ich weiß.Deshalb mag ich dich auch.« Er zog einen Spieß aus dem Sand und reichte ihn mir. »Lass dir den Fisch schmecken, Copper.«
    Ich musste noch lange über Javids Worte nachdenken. Das Gefühl, kein Recht auf seine Zuneigung zu haben, weil irgendwann vor einigen hundert Jahren die Weißen so viel Leid über sein Volk gebracht hatten, verschwand nie ganz. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass ich so zurückhaltend blieb. Er dagegen schien unser Gespräch schnell vergessen zu haben.
    Wir verzehrten genüsslich den Fisch und Javid erzählte weiter aus dem Leben seiner Vorfahren, als wäre er dabei gewesen. »Im Winter«, sagte er, »schien es, als ob Wald und Meer miteinander redeten. Das Lied der Wellen wurde vom Lied der Zweige in den Bäumen beantwortet. Das war die Zeit der Zeremonien und der Maskentänze.«
    Mir schien, als wäre Javids Sprache reicher als die anderer Menschen. Aber vielleicht lag das auch daran, dass er mit dem ganzen Körper redete und ich so gerne seine Stimme hörte.
    Vor meinen Augen entstanden Bilder dieser vergangenen Welt und ich vergaß die Zeit. Aber irgendwann war das letzte Stück Treibholz heruntergebrannt und es wurde kühl am Strand. Ein perlmuttfarbener Abendhimmel schmückte das Meer. Javid hatte sich zu mir auf den Baumstamm gesetzt und war nahe an mich herangerückt. Ach, könnte ich nur die Zeit anhalten.
    Â»Ich wünschte, ich müsste nicht zurück nach Berlin«, murmelte ich niedergeschlagen.
    Â»Du kannst ja wiederkommen.«
    Ich sah ihn traurig an.
    Javid schüttelte den Kopf und lachte über mein Gesicht. »Ich meine es ernst, Copper! Komm wieder nächsten Sommer. Du kannst bei mir wohnen, musst nur den Flug irgendwie aufbringen. Ich hole dich in Seattle vom Flughafen ab. Sind bloß fünf Stunden Fahrt bis dorthin.«
    Â»Mein Vater würde das nie erlauben«, sagte ich bekümmert.
    Â»Aber versuchen kannst du es doch, oder?«
    Ich sah ihn schräg von der Seite an. »Wirst du in einem Jahr noch an mich denken?«
    Â»Klar«, erwiderte er, ohne zu überlegen. »Ich werde immer an dich denken.« Er beugte sich zu mir

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