Der Gesang der Orcas
gegessen.«
Ich verzog das Gesicht und er lachte. »Zugegeben, unser Geschmack hat sich mit den Jahren verändert. Manchen hat nicht mal das Walfleisch geschmeckt, als es nach unserer Jagd verteilt worden war. Sie kannten das einfach nicht mehr.« Javid erzählte vom Potlatch nach der Waljagd und wie das Walfleisch und -fett unter den Angehörigen des Stammes verteilt worden war.
»Hast du Walfleisch gegessen?«
»Na klar. Mein Vater war einer der Walfänger gewesen und brachte ein besonders groÃes Stück Fleisch und Walfett nach Hause. Er kannte noch die alten Rezepte von seiner Mutter und hat das Fleisch danach zubereitet.«
»Und wie schmeckt es?«
»Ein bisschen wie Elch. Aber es ist viel dunkler. Ich fand es okay.«
Ich hatte noch nie Elch gegessen, konnte mir also nichts darunter vorstellen. Aber irgendwie war ich mir sicher, dass ich keinen Bissen runterbringen würde, wenn ich vorher wusste, dass es Walfleisch war, was auf meinem Teller lag.
»Da wir einmal beim Essen sind«, meinte Javid, »kannst du vielleicht ein bisschen Holz für ein Feuer zusammentragen? Ich will noch mal versuchen ein paar Fische zu fangen.«
Ich machte mich daran, trockenes Treibholz zusammenzusuchen, wovon genug am Strand herumlag. Dabei wäre ich beinahe über ein totes Robbenbaby gestolpert, das ohne Kopf in einem Tangberg lag. Erschrocken taumelte ich einen Schritt zurück, überwand aber dann meinen Ekel, um es mir genauer anzusehen.
Javid war neugierig geworden und kam zu mir herüber. Mit einem Stock drehte er den Kadaver um. »Das waren mit Sicherheit die Orcas«, sagte er.
Der silbrige Körper des Robbenbabys war gerade mal so lang wie mein Unterarm und der Anblick des toten Tieres machte mich traurig.
Javid merkte es. »So ist das nun mal in der Natur«, sagte er. »Fressen und gefressen werden. Wenn Mora einen leeren Magen hat, kann ihr Baby nicht richtig wachsen und hat später nur schlechte Ãberlebenschancen.«
»Ich habe ja gar nichts gesagt«, murmelte ich und fuhr fort Feuerholz zusammenzulesen.
Von einem Felsen aus warf Javid seine Angelsehne ins ruhige Meer. Es war mir ein Rätsel, wie er es machte, aber nach einer Dreiviertelstunde lagen vier groÃe silbrige Fische auf der Kiesbank.
Mit ein paar wenigen sicheren Handgriffen entfachte Javid das Feuer. Er nahm die Fische aus und zerteilte sie. Das Filet spülte er im Meer sauber und schob es auf grüne SpieÃe, die er zurechtgeschnitzt hatte. Die SpieÃe steckte er in den Sand,schräg gegen die Glut des Feuers, sodass der Fisch langsam garen konnte.
Javid Ahdunko würde auch ohne Supermarkt eine ganze Weile zurechtkommen, dachte ich, ganz im Gegensatz zu mir. Ich hatte keine Ahnung, welche Beeren essbar waren und welche nicht. Ich wusste nicht, wie man Fische im Meer fängt und wie sie über dem offenen Feuer zubereitet wurden.
»Was denkst du?«, fragte er, als er meinen entrückten Blick bemerkte.
»Ich frage mich, wie die Makah heute leben würden, wenn die weiÃen Einwanderer nicht gekommen wären.«
Javid stieà verblüfft Luft durch die Zähne. »Das frage ich mich auch oft. Aber darauf gibt es keine Antwort, Copper. Auf jeden Fall wäre heute auch nicht mehr alles so, wie es vor 500 Jahren war. Wir Makah hätten uns wahrscheinlich auch ohne den Einfluss der WeiÃen verändert. Nur eben nicht so schnell.«
Er drehte die SpieÃe herum, damit der Fisch auch von der anderen Seite garen konnte. »Mit groÃer Wahrscheinlichkeit würden sehr viel mehr Makah in Neah Bay leben, als es heute der Fall ist«, nahm er das Thema wieder auf. »Ende des 18. Jahrhunderts kamen die ersten weiÃen Händler zu uns und schleppten Krankheiten ein, denen wir nichts entgegenzusetzen hatten. Windpocken, Masern und dergleichen. Zwei Drittel unseres Volkes starben an diesen Krankheiten. Ihre aufgedunsenen Körper säumten den Strand«, Javid machte eine weit schweifende Geste in Richtung Ozean, »bis die Flut sie schlieÃlich mit sich nahm.«
Vor meinen Augen sah ich die Männer, Frauen und Kinder liegen, dahingerafft von Krankheiten aus Europa, die heute jedes Kind durchmachte, ohne Schaden zu nehmen. Obwohl ich Hunger hatte und der Fisch schon köstlich duftete, verging mir der Appetit.
»Wieso hasst du die WeiÃen nicht?«
Javid zuckte die Achseln. »Um ehrlich zu sein, mag ich sie nicht
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