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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Schlauchboot auf den Weg nach Ozette. Diesmal war ich praktischer gekleidet, mit knielangen, dünnen Stoffhosen, einem T-Shirt und wasserfesten Sandalen. Es war herrlich warm und ich hatte vorsichtshalber meinen Strohhut dabei. Bisher hatte ich mich nicht getraut ihn aufzusetzen, aber nun riet Javid mir dringend dazu. Als ich es schließlich widerstrebend tat, konnte er sich ein Lachen kaum verkneifen. »Jetzt siehst du aus wie ein Walfänger!«
    Wir hielten nach den Orcas Ausschau und meine Hoffnung, sie würden uns entdecken, erfüllte sich. Es dauerte nicht lange und die schwarzen Flossen tauchten auf. Granny, Conny und Lopo umkreisten uns wie immer in einiger Entfernung, aber Bob und Mora kamen in parallelen Sprüngen auf uns zu.
    Â»Wie machen sie das nur?«, rief ich begeistert.
    Â»Mit ihrem Sonar koordinieren sie ihr Schwimmen«, antwortete Javid, »deshalb kommen sie sich nicht in die Quere. Mit Hilfe dieser Schallwellen können sie sogar Spalten im Eis finden und sich gegenseitig auf Gefahren oder Nahrungsquellen aufmerksam machen.«
    Ein Quietschen, Pfeifen und Wimmern begann. Es waren seltsame Kreischtöne, die mich an Urwaldstimmen denken ließen. Manchmal klang ihr Heulen auch wie das Echo eines Wolfsrufs.
    Javid lachte kopfschüttelnd. »Verstehst du, was sie uns sagen wollen?«
    Ich sah ihn mit großen Augen an.
    Â»Sie freuen sich über unseren Besuch, Copper. Besonders Bob und Mora sind interessiert an allem, was um sie herum passiert.«
    Bob schlug seine große Schwanzflosse auf die Wasseroberfläche und bespritzte uns mit einer Ladung Meereswasser. Dann tauchte er schnell ab, wie ein Lausbub,der anderen einen Streich gespielt hatte. Javid war klatschnass geworden und ich musste schallend lachen. Die Schreie, die aus dem Meer zurückkamen, klangen wie eine Nachahmung meines Gelächters.
    Die beiden Orcas schwammen um das Schlauchboot herum, sie tauchten ab in die Tiefe, rieben sich am steinigen Meeresboden und kamen wieder an die Oberfläche, um ihre gewaltigen Lungen mit Luft zu füllen.
    Â»Schau dir Lopo, Conny und Granny an«, sagte Javid und wies auf die drei Wale, die es vermieden, dem Schlauchboot allzu nahe zu kommen. »Irgendwie trauen sie dem Frieden nicht. Granny hat die Verantwortung für ihre kleine Familie. Von ihren Entscheidungen, die auf ihrem Wissen und ihren Erfahrungen beruhen, hängt das Leben der anderen ab. Diese Walschule hat einen gemeinsamen Dialekt, den nur die fünf verstehen können. Deshalb kommt es auch nie zu Vermischungen mit anderen Walgruppen.«
    Â»Ist das nicht Inzucht?«
    Javid zog die Mundwinkel nach unten. »Keine Ahnung, wie sie das regeln. Aber irgendwie scheint es zu funktionieren.«
    Ich genoss es, die Wale um mich zu haben, ihre Sympathie und ihre Neugier zu spüren. Von Seekrankheit war diesmal keine Spur. Mit Javid Ahdunko in diesem kleinen, schaukelnden Schlauchboot zu sitzen, auf dem Pazifischen Ozean und umgeben von den schnellsten Tieren des Meeres, gab mir mein Selbstvertrauen zurück.
    Noch eine ganze Weile umkreisten uns die schwertförmigen Rückenflossen, wurden wir von Bob und Mora geneckt und ausgelacht. Dann warf Javid den Motor an und steuerte an Land – dorthin, wo man einst die Überreste des alten Dorfes Ozette gefunden hatte. Die Orcas folgten uns noch ein Stück. Alle fünf schwammen parallel zum Boot neben uns her, bis ihnen das Ufergewässer zu flach wurde und sie mit ihrem unverkennbaren Kreischen Abschied nahmen und wieder aufs offene Meer hinausjagten.
    Hinter Cape Alava gingen wir an Land und zogen das Schlauchboot auf den mit Kieseln durchmischten Sand. Weit genug, dass die steigende Flut es nicht mit sich nehmen konnte. Javid gab mir ein Zeichen, dass ich ihm folgen sollte. Er führte mich auf eine Insel, die auf der Karte als Cannonball Island eingezeichnet war, bei den Makah aber Tsakawahyah Island heißt. Man konnte sie nur bei Ebbe trockenen Fußes erreichen.
    Â»Dort oben haben die Leute von Ozette ihre Toten begraben«, klärte Javid mich auf und schickte sich an den steilen Berg hinaufzuklettern. Mutige Kiefern wuchsen auf der felsigen Kuppe, die sich mit ihren Wurzeln im Gestein festkrallten.
    Ich hielt ihn zurück. »Ich sollte dort nicht hingehen.«
    Â»Warum nicht?«
    Â»Deswegen.« Ich wies auf ein Schild am Fuß des Felsens, auf dem stand, das hier eine Begräbnisstätte war, die nur

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