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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Augen ihrer Tochter ließ sich ihren Magen zusammenziehen. Kristin spürte Tränen aufsteigen und konnte sie nur mit Mühe unterdrücken.
    Ilse hatte Lisas schulterlangen Haare nach hinten gekämmt, sie mit einer blauen Spange gebändigt und eine weiße Schleife darin befestigt. Lisas nackte Beinchen lugten ein Stück unter dem Spitzensaum des Kleides hervor, ihre Füße steckten in weißen Leinenschuhen, die Kristin noch nicht kannte. Wahrscheinlich eine Errungenschaft des Einkaufsbummels mit ihrer Mutter. Da das Kleid für den Sommer gedacht war und keine Ärmel hatte, sondern mit üppigem Rüschenbesatz an den Schultern endete, waren Lisas nackte Arme zu sehen. Die einzige Stelle an ihrem Körper, an der noch etwas von dem Babyspeck übrig geblieben war, den Kristin so liebte.
    Kaum hatte sie das Lied beendet, kam Lisa auf sie zugelaufen. Kristin ging in die Knie. Ohne Rücksicht auf die Blumen stürzte Lisa sich in ihre offenen Arme.
    «Allen herrlichen Glückwunsch zum Geburtstag!», sprudelte es aus ihr heraus, und das «Glück» klang so bezaubernd, dass Kristin nicht anders konnte, als ihre Kleine noch ein bisschen mehr zu drücken. Sie vergrub ihr Gesicht an ihrem Hals, genoss diesen besonderen Duft, den sie nicht beschreiben konnte und den nur Kinder verströmten.
    «Vielen vielen Dank, mein kleiner Schatz.» Zum Abschluss drückte sie ihr einen dicken Kuss auf die Wange. Dann richtete sie sich auf und umarmte auch ihre Mutter.
    «Danke, Mama», flüsterte sie und gab auch ihr einen Kuss. Ilse hatte Tränen in den Augen, das Licht der Kerzen verriet es deutlich. «Dreiunddreißig Jahre … mein Gott, ich kann es kaum fassen. Es ging alles so schnell …!»
    Sie umarmten sich noch einmal. Der Schwermut, den Ilse an diesem Morgen zeigte, gefiel Kristin gar nicht. Wenn ihre Mutter in einer solchen Stimmung war, wühlte sie meist tief in der Vergangenheit, und die war nicht immer schön gewesen. Nachdem sie sich voneinander gelöst hatten, sagte Ilse:
    «Du musst viel Zeit mit deiner Tochter verbringen, sonst heiratet sie, ehe du sie richtig kennengelernt hast. Glaub mir, mein Kind.»
    Kristin registrierte den versteckten Vorwurf, der wahrscheinlich nicht einmal beabsichtigt war. Gestern hatte ihre Periode eingesetzt, und in dieser Zeit war sie weder gewillt noch in der Lage, solche Andeutungen zu überhören. Zwar widmete sie sich wieder Lisa, abgespeichert waren die Worte aber allemal.
    «Mama, Mama, schau doch nur mal, da sind deine Geschenke, die sind alle deine!» Lisa erklomm in Windeseile einen Stuhl und grapschte ein kleines Päckchen vom Tisch, das in rotes Geschenkpapier eingeschlagen war. «Das ist von mir, das schenk ich zum Geburtstag!» In ihrer Aufregung geriet sie beunruhigend nahe an die vordere Kante des Stuhls. Schnell legte Kristin den lädierten Blumenstrauß auf die Spüle, stellte sich vor Lisa und nahm ihr das Päckchen ab. Es war ungefähr so groß wie ein Karton für Kinderschuhe und recht leicht.
    «Das ist von dir, Träumerchen?»
    «Ja», sagte Lisa. «Das hab ich selber verkauft.»
    «Gekauft», korrigierte Ilse sie.
    «Du musst es aufmachen, Mama, jetzt gleich.»
    «Noch vor dem Frühstück?»
    «Ja ja ja!» Lisa sprang auf dem Stuhl herum.
    «Lisa!», ermahnte Ilse sie laut. «Mach nicht so ein Theater, sonst fällst du noch runter.»
    «Ist schon gut, ich hab sie ja.» Kristin nahm ihre Kleine und setzte sich mit ihr auf dem Schoß auf den Stuhl. «Dann wollen wir mal sehen, was da wohl drin ist. Was kann das nur sein?» Sie schüttelte das Päckchen neben ihrem Ohr und machte ein rätselhaftes Gesicht. Lisa hielt den Atem an.
    Im Inneren des Kartons klapperte etwas. Es hörte sich nach einem einzelnen, festen Gegenstand an, aber Kristin hatte nicht die leiseste Ahnung, um was es sich handeln könnte. Vorsichtig begann sie auszupacken – was sich als schwierig erwies. Denn dass Lisa das Geschenk höchstselbst verpackt hatte, verrieten viele Stücke Tesafilm, mit dem es über und über zugepflastert war. Lisa liebte Tesafilm, beinahe jeden Zentimeter Papier hatte sie damit verziert. Es war Kristin einfach nicht möglich, das Geschenk auszupacken, ohne das schöne Papier zu beschädigen, und da Lisa immer zappeliger wurde, riss sie es schließlich auseinander. Zum Vorschein kam jener Schuhkarton, in dem Lisas neuen Leinenschuhe gelegen hatten. Bedächtig und mindestens ebenso gespannt wie ihre Tochter öffnete Kristin den Deckel.
    Darin lag eine Gartenhacke. Eines dieser kleinen

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