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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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sie über all die Jahre hinweg gepflegt und geschmiert.
    Kristin traute sich kaum, über den Rand der Lade zu schauen. Sie fühlte sich an damals erinnert, als sie sich dem Sarg mit Tom darin genähert hatte. Vorsichtig, als würde eine Gefahr darin lauern, spähte sie dennoch hinein.
    In der tiefen Lade lag ein Messer.
    Kristin strich sich eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht und nahm es heraus. Sie verstand genauso wenig von Messern wie die meisten anderen Menschen, aber dass es sich bei diesem um ein besonderes handeln musste, erkannte sie. Es war bestimmt keines der Dinger für Neunfünfundneunzig, die man in jedem Supermarkt bekommen konnte. Nirgendwo war der Aufdruck oder die Prägung des Herstellers zu erkennen. Es sah nach Handarbeit aus. Einer Handarbeit, die für die Ewigkeit gemacht war.
    Wie lange mochte es hier gelegen haben? Fünf Jahre, oder vielleicht sogar fünfzig? Wie viel Zeit es auch immer gewesen war, sie war beinahe spurlos am Stahl der Klinge vorübergegangen. Nicht der kleinste Hauch von Rost war zu sehen. Der Schaft bestand aus einer Holzart, die Kristin nicht kannte. Auch dieses Holz war dunkel eingefärbt, als ob sich die Poren mit einer Flüssigkeit vollgesogen hätten.
    Plötzlich bereitete es Kristin Unwohlsein, das Messer in der Hand zu halten. In der sechsten Klasse hatte ihr Biologielehrer eine Vogelspinne mit in den Unterricht gebracht. Jeder durfte sie einmal auf der Handfläche halten. Kristin hatte sich nur getraut, weil ihre Freundin sich getraut hatte, und weil der Lehrer ihnen versichert hatte, dass der Spinne die Giftdrüsen entfernt worden waren. Das große haarige Tier hatte nur dagesessen, und obwohl Kristin gewusst hatte, dass es ihr nichts tun konnte, war ihr ein unangenehmes Kribbeln von der Hand bis in die Schulter gestiegen. Genauso war es jetzt mit dem Messer.
    Rasch legte sie es in die Lade zurück und betrachtete ihre Hände. Sie waren sauber. Was hatte sie erwartet?

10
    «Du hättest mich ihn erschießen lassen sollen. Verdammte Scheiße. Jetzt haben wie dieses Tier am Hacken!»
    Sven Brüning warf die Zeitung auf den Küchentisch. Ruhelos lief er zum Fenster und warf einen Blick auf die fünf Stockwerke tiefer liegende Stadt, die gerade erst erwachte.
    «Jetzt beruhige dich erst mal.» Robert rieb sich die Augen. Zehn Minuten waren seit Svens Anruf vergangen, so richtig wach geworden war er in dieser Zeit nicht.
    «Wie soll ich mich beruhigen? Mann, weißt du eigentlich, was das bedeutet?»
    «Ich weiß gar nichts», gab Robert scharf zurück. Svens nervöses Getue und seine vorwurfsvolle Art nervten ihn. Zu nachtschlafender Zeit konnte er weder das eine noch das andere ertragen. «Woher hast du überhaupt die Information?»
    «Lies die Zeitung. Seite vier. Lies einfach die Zeitung.» Sven deutete träge auf die druckfrische Morgenzeitung, die er aus einem Packen vor einem Kiosk gestohlen hatte. Seine Stirn lehnte am kühlen Glas des Fensters.
    Robert schlug die besagte Seite auf. Sie war von kleineren Artikeln übersät, und im ersten Moment fiel ihm nichts auf, was Svens Nervosität erklärt hätte. Dann blieb er jedoch an einem Wort hängen: Harz. Unten rechts gab es einen Artikel über einen unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommenen Fernfahrer. Man hatte seinen LKW im Containerhafen aufgefunden. Dort hätte er nicht stehen dürfen, und der Fahrer hätte nicht mit einem Kopfdurchschuss darin sitzen sollen. Seine Tour hatte vor drei Tagen in Braunlage im Harz begonnen. Sie hätte ihn nach Hannover und zurück führen sollen, dort war er jedoch nicht angekommen. Die Polizei tappte im Dunkeln.
    Vor drei Tagen!
    Robert schob die Zeitung von sich.
    «Das muss nichts bedeuten», sagte er laut.
    Sven kicherte und drehte sich vom Fenster weg. «So was sagen die Ärzte immer, wenn man unter seiner eigenen Achsel ein Geschwür entdeckt. Du solltest dich mal hören.»
    «Für diese Sache kann es hundert Erklärungen geben. Ich verstehe deine Aufregung nicht.»
    «Kann es, ja, aber solche Zufälle gibt es nicht, und das weißt du auch.»
    Robert seufzte und stand auf. «Gar nichts weiß ich. Möchtest du einen Kaffee?»
    «Den kann ich jetzt gut gebrauchen.»
    Während Robert die Kaffeemaschine füllte, beugte Sven sich noch mal über die Zeitung. Er las und schüttelte den Kopf. «Einen Tag, nachdem wir ihm das Geld abgenommen haben. Das kann nur er gewesen sein. Verdammt, du hättest mich abdrücken lassen sollen.»
    «Vergiss es, Sven, Radduk ist

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