Der Gesang des Satyrn
Mann, der mächtig genug war sie zu schützen.
Zwei Tage später war alles Nötige für den Umzug auf Eselskarren verladen und der gesamte Haushalt bereit zum Aufbruch. Nörgelnd ließ Phano sich von Thratta und Kokkaline in ihren Wagen helfen und versteckte sich dann auf der ganzen Fahrt, ohne einmal hinauszuschauen. „Sie sagt, dass ihr vollkommen egal ist, wo sie ihren Wein trinkt“, gestand Thratta ihrer Herrin auf deren Nachfrage, ob Phano ein Zeichen der Freude über die Abwechslung gezeigt hätte.
„Ich hoffe, dass ihr Gemütszustand sich bald verbessert“, gab Neaira kopfschüttelnd zu und wusste nichts weiter zu sagen.
Am frühen Nachmittag erreichten sie Stephanos neues Haus - ein schönes Anwesen, umgeben von einem weitläufigen Garten, in dem es Obstbäume, einen Sonnenschatten und einen Teich gab. Wie Athen laut und voller Leben war, so gab es hier nur Stille und Vogelgezwitscher. Neaira hätte sich keinen besseren Ort für ein Erntefest vorstellen können. Während die Sklaven damit begannen die Truhen zu entladen und ins Haus zu tragen, führte Stephanos Neaira und Phano ins Andron.
„Es ist wunderschön, Stephanos.“ Neaira betrachtete die hellen Wände, die sorgsam gearbeiteten Säulen und die geschmackvolle Einrichtung mit staunenden Augen.
Besonders das kunstfertige Mosaik im Boden des Andron, das einen Teich mit Fischen und Blumen zeigte, gefiel ihr gut. „Fast wie ein frischer Wind ... hier könnte ich für immer bleiben.“
„Wo sind meine Räume?“, unterbrach Phano mürrisch Neairas Schwärmerei.
Stephanos wies Thratta an seiner Tochter zu helfen, sich in ihren Gemächern einzurichten.
„Meine arme Tochter“, flüsterte Neaira, als Phano verschwunden war, und hielt sich die Hände vor den Mund, da ihr die Worte einfach so entglitten waren.
Stephanos legte tröstend einen Arm um sie. „Gib ihr etwas Zeit, vielleicht wird alles gut werden.“
Um sich abzulenken, begann Neaira in den nächsten Tagen den Haushalt zu ordnen und die Vorbereitungen für das Opferfest zu überwachen. Sie wies die Sklaven an, den Garten mit Fackeln zu bestücken und die Bäume und Sträucher zu schneiden. Stephanos hatte wie angekündigt Freunde eingeladen, und Neaira wollte die inneren Zerwürfnisse ihrer kleinen Familie so gut es ging durch äußerliche Ordnung verbergen. Auch Proxenos und Ariston reisten am Vorabend des Festes an, das für Demeter, die Göttin der Ernte und der Fruchtbarkeit, ausgerichtet wurde. Sie hätte nur zu gerne auf die beiden verzichtet, doch Stephanos zu bitten seine Söhne auszuladen wagte sie nicht.
Thratta und Kokkaline flochten Haarkränze aus Mohnblumen und Weizenähren für Neaira und Phano sowie für den kleinen Opferaltar im Garten, der von einer Laube überdacht wurde.
In dieser Aufmachung ehrten die Frauen des Haushaltes die Göttin Demeter, brachten ihr die Ährenkränze dar und baten um eine gute Ernte. Da Demeters Fest auf das Ende des Jahres fiel, war es nicht mehr so heiß wie im Sommer, jedoch angenehm, wenn man am Abend über dem Chiton oder dem Peplos einen Mantel trug. Die Sklaven errichteten die Festtafel im Garten neben dem Teich und entzündeten die Fackeln, als die Dämmerung einsetzte. Stephanos hatte Neaira aufgetragen die Bewirtung der Gäste großzügig auszurichten, und so trugen die Diener neben den üblichen Erntespeisen wie Kürbis, Äpfel und Trüffel auch ausgefallene Gaumenfreuden wie Siebenschläfer, persische Nüsse und einen erlesenen Veilchenwein auf. Sogar ein Spanferkel brutzelte an einem Spieß, der von den Sklaven gedreht und gewendet werden musste. Der ganze Garten duftete nach gebratenem Fleisch, gerösteten Früchten und dem schweren Geruch fruchtbarer Erde. Sogar Ariston und Proxenos, die selten zufrieden damit waren, wie Neaira den Haushalt ihres Vaters führte, beschwerten sich nicht über ihre Vorbereitungen für das Fest – mehr konnte Neaira kaum von ihnen erwarten.
„Ich habe nur diejenigen Herren eingeladen, die mir passend erschienen“, bekannte Stephanos Neaira gegenüber, als sie allein waren. Sie hatten sich vor dem Eintreffen der Gäste ein wenig Ruhe gegönnt und beschlossen, ein paar Schritte allein durch den Garten zu gehen. Obwohl die Sommerzeit vorüber war, zirpten noch immer die Grillen und Zikaden in den Büschen und Bäumen, und wie weiche Wolle kitzelte das Gras Neaira zwischen den Zehen. Der Himmel war rötlich verfärbt wie der Mohn auf den Feldern, voller Schlieren in Purpur und Blau, als ob
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