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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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herumgewirbelt und ihr nackter Körper von zwei Armen umfasst. Entsetzt riss sie die Augen auf und starrte in das Gesicht des Fremden, der ihr das Schmuckband geschenkt hatte. Aus seiner glatten Stirn ragten zwei Hörner, seine Ohren waren nicht mehr menschlich, sondern die einer Ziege, und seine Augen glühten im Schein des Feuers. Er drückte sie an sich und wirbelte mit ihr um das Feuer. Neaira spürte seine glatte schweißnasse Brust an ihrem nackten Körper. Wie von Sinnen tanzte er, lachte und gab sich ausgelassen, während er immer wieder rief: Fürchtest du dich? Hast du Angst, kleine Neaira, fürchtest du dich vor mir? ...
    ... „Fürchtest du dich, kleine Mänade? Du hast allen Grund dazu!“ Neaira fiel vom Polster der Kline, während Idras an ihrer Schulter rüttelte. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren Rücken und ihr Hinterteil, als sie hart auf dem Boden landete. Idras hielt die Amphore hoch, in der sie sich letzte Nacht erleichtert hatte. „Du glaubst wohl ich würde nicht merken, dass du da reinpinkelst!“
    Neaira schüttelte die Reste des verwirrenden Traumes ab und kam ungelenk auf die Beine. Ehe sie etwas hätte sagen können, zog Idras sie am Ohr und packte ihr Handgelenk. „Die Herrin will dich sehen“, gab sie knapp zu verstehen und zog Neaira mit sich, die schnell das Schmuckband unter das Polster schob, das sie die ganze Nacht in ihrer Faust gehalten hatte.
    Ehe Neaira begriffen hatte wie ihr geschah, stand sie im Andron vor Nikarete und starrte auf den mit einem Mosaik ausgelegten Boden. Aus zusammengekniffenen Augen, die wenig Freundlichkeit verhießen, betrachtete Nikarete sie von ihrem Stuhl aus und legte die Wollspindel in den Schoß. Die Göttin und Herrscherin dieses Hauses sagte eine Weile gar nichts und musterte Neaira streng. „Du wirst Metaneira für lange Zeit nicht mehr sehen.“ Sie hatte keine Antwort von Neaira erwartet und fuhr ungerührt fort.
    „Was sich auf der Agora zugetragen hat, darf sich nicht wiederholen!“ Nikarete beugte sich zu ihr hinunter. „Dabei könntest du es zu Großem bringen, das habe ich gleich gesehen, als deine Mutter dich mir brachte. Du bist hübsch und versprichst schön zu werden. Doch das Wichtigste sind die Augen. Wenn du es nur lernst, deinen Trotz und deinen Willen in eine vorteilhafte Richtung zu lenken, werden sie im Odeion über dich sprechen und Verse vortragen, die deine Schönheit und deinen Zauber loben.“
    Neaira wagte nicht, ihr zu widersprechen. Wie sie dort saß, auf ihrem Stuhl - wie eine eine Harpyie, die sie als Opfer auserkoren hatte. Neaira konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Nikarete nachts ihre Klauen ausfuhr und ihre Flügel spannte. Sie wollte mehr denn je fort aus diesem Haus voller nächtlicher Albträume – jetzt erst recht, wo Metaneira fort war. Neaira erinnerte sich an die Worte der Freundin und die Eindringlichkeit, mit der Metaneira auf sie eingeredet hatte. Du musst lernen den Männern zu gefallen, damit du nicht wirst wie deine Mutter. Neaira ahnte, dass der Weg in die Freiheit nicht so einfach zu finden war, wie sie geglaubt hatte.
    „Was ist nun, träume nicht, wenn ich mit dir rede.“
    Nikaretes Geduld schien am Ende. Idras betrat mit watschelnden Schritten das Andron, um die Lampen und Kohlebecken zu entzünden, wobei sie einige junge Sklavinnen und Knaben vor sich hertrieb. Der rote Mund Nikaretes zeigte ein künstliches Lächeln, wobei sie auf die flinken Sklaven wies. „Du kannst sein wie die da oder dich später von ihnen bedienen lassen. Entscheide dich endlich!“
    Neaira überlegte eine Weile, dachte an das verschlossene Gesicht des Satyrn, dem sie in der letzten Nacht begegnet war. Könnte sie nicht auch einfach ihre Wünsche verbergen und so tun als würde sie der Herrin gehorchen? Nur so lange, bis es ihr gelang wegzulaufen.
    Neaira wurde klar, dass sie Nikarete aus tiefstem Herzen verabscheute. Doch sie ahnte auch, dass der Weg in die Freiheit an der verhassten Herrin vorbeiführte. „Ich will alles lernen, was es zu lernen gibt.“
    Von Nikaretes Gesicht fiel die Anspannung ab. „Idras ist anderer Meinung, aber ich wusste, dass du ein kluges Mädchen bist – nicht so wie Stratola und Anteia, die nur für die müden, hart arbeitenden Männer taugen. Du bist zwar bockig wie ein thrakisches Fohlen, aber auch jung und formbar.“
    Sie war eine Harpyie – boshaft, verlogen und gemein!
    Neaira verbarg ihre Gedanken, und es gelang ihr so gut, dass Nikarete nichtsahnend grinste.

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