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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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angebracht, sich eine Vorführung im Odeion anzusehen?“
    „Das ist halt so“, antwortete Hylas schulterzuckend.
    „Frauen laufen nicht auf der Straße herum und zeigen sich, wenn sie anständig und ehrbar sind.“
    Neaira verkniff sich eine Bemerkung. Eingesperrt war sie bereits, obwohl Nikaretes Haus alles andere als ehrbare Frauen beherbergte.
    Während Neaira Buchstaben in die Wachstafeln ritzte, erzählte ihr Hylas die Ilias von Homer sowie die Geschichten anderer Gelehrter, die sich mit der Ilias beschäftigt hatten. Neaira liebte diese Geschichten. In Gedanken und nachts in ihren Träumen erlebte sie die Abenteuer der Helden, reiste in ferne Länder und wünschte sich einmal mehr, frei zu sein. „Ich mag die schöne Helena“, gab sie auf Nachfragen Hylas zu. „Aphrodite hat ihr Macht über die Männer verliehen. Sie ist wie ich, gefangen und allein. Aber dann kommt Paris und rettet sie vor Menelaos.“
    „Aber Troja ist wegen ihr gefallen. Sie brachte den Menschen Leid. Auch deshalb ist es besser, wenn Frauen im Haus bleiben. Die Geschichte lehrt uns, dass sie Männer und ganze Völker ins Verderben stürzen, allein durch ihren Anblick!“
    „Trotzdem erlaubten die Götter Helena ebenso wie den großen Helden nach ihrem Tod auf den elysischen Feldern zu leben, anstatt als Schattengestalt durch den Hades zu wandeln. Das hätten sie sicherlich nicht getan, wenn sie so schlimm gewesen wäre, wie du behauptest.“
    Innerlich beglückwünschte Neaira sich für ihre Schlagfertigkeit, vor allem da Hylas ein verdutztes Gesicht machte. Seltsam, so als bemerke er sie überhaupt das erste Mal, sah er Neaira an und suchte verunsichert nach einer Antwort. „Helena ist eine Ausnahme, weil Aphrodite sie liebte. Trotzdem ist es allseits bekannt, dass die Lust der Frauen zehnmal so stark ist wie die der Männer. Was würde aus der Ordnung und der geistigen Disziplin werden, wenn Frauen nicht von Männern gemaßregelt würden?“
    Neaira dachte an ihren Kindheitstraum, in dem Metaneira sich den Satyrn entgegengestreckt hatte - gierig und wild. Sie dachte an die Geräusche ihrer Kindheit auf dem Hof. Waren nicht auch Frauenschreie darunter gewesen? Hatte Hylas recht mit dem, was er sagte?Aber sie war anders, das musste Hylas verstehen. In ihr war keine Triebhaftigkeit, sie war keine Anhängerin von Dionysos.
    Neaira nahm all ihren Mut zusammen und legte ihre Hand auf die von Hylas. Er zog sie nicht fort, als ihre Hand ihn berührte, sah sie jedoch überrascht an. Etwas in ihm schien sich zu verändern als hätte Neaira sich direkt vor seinen Augen verwandelt. „Du bist schön, weißt du das eigentlich?“ Wie seine Stimme nun klang, so anders als sonst, flüsternd und voller Wärme. Die Worte sickerten in Neairas Herz wie flüssiges Gold und nährten seine verdorrten Adern. Sie wurde mutiger. „Heute Nacht schleiche ich mich aus dem Haus und komme zum Hof neben den Sklavenunterkünften. Wirst du da sein?“
    Obwohl Neaira von Nikarete und Idras nicht mehr bewacht wurde, da sie scheinbar fügsam und willig war, wurde ihr klar wie gefährlich es für sie beide werden konnte, wenn sie entdeckt wurden.
    „Sobald die Gäste fort sind, werde ich da sein“, flüsterte er heiser. Hylas sah sie an, ertrank in ihren braunen Augen, und war verloren.
    Im Haus herrschte Stille und vollkommene Dunkelheit als Neaira sich aus ihrem Zimmer schlich. Die Feuerbecken glimmten noch, doch der vertraute Geruch von Asche hatte sich bereits im ganzen Haus ausgebreitet. Sie musste vorsichtig sein, durfte nirgendwo anstoßen, aber sie kannte den Weg. Auf Sandalen hatte sie verzichtet, ihre Füße huschten über den Steinboden fast ohne ihn zu berühren.
    Als Neaira den Hof mit den Zimmern der Mädchen erreichte, blieb sie kurz stehen, um zu lauschen, doch auch hier war alles still. In zwei Stunden würde die Sonne aufgehen – zwei Stunden, um nahe bei Hylas zu sein, seine geflüsterten Worte zu hören und sich darüber klar zu werden, was gerade mit ihr geschah.
    Lautlos wie eine Katze schlich Neaira über den Hof und verschwand im Schatten des Flures. Sie ließ das Badehaus hinter sich und konnte am Ende des Ganges den Hof zu den Sklavenunterkünften erkennen. Hylas war gekommen! Er stand im Schatten, seine Gestalt zeichnete sich gegen das fahle Mondlicht ab.
    Im Schutz der Dunkelheit fiel es Neaira leicht, sich in Hylas Arme zu werfen. Die glatte Haut auf seiner Brust war warm, und er duftete nach schweren Blüten. Sein Herz schlug ebenso

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