Der Gesang des Satyrn
gelangweilten Lächeln bezahlte der die Händler, so als wären die vielen Obolen und Mina nichts weiter als beliebige Lehmklumpen von der Straße. Erst als sich der Wagen unter seinen Lasten bog und kaum noch Platz für Neaira und Kokkaline bot, gab er Neairas Drängen zum Aufbruch nach. Sie befürchtete, dass ihre gehörnten Gönner sie ausfindig machen und verschleppen würden.
Phrynion klopfte lachend auf die Schatulle, in welcher der Papyrus lag, der Neairas Freiheit bezeugte. Ihre Angst schien ihn zu belustigen. „Niemand kann dich verschleppen. Er müsste zuerst an mir vorbei, um in den Besitz dieser Urkunde zu gelangen.“
Neaira fühlte sich geschmeichelt. Nun konnte sie Korinth beruhigt verlassen. Ein letztes Mal verharrte ihr Blick auf dem Odeion und dem Theater, deren Vorstellungen sie so geliebt hatte, ein letztes Mal betrachtete sie das Gewimmel auf der Agora, vernahm die Rufe der Händler, nahm die Farben und Gerüche in sich auf, das Leben dieser Polis, die ihr wie ein Geschwür vorkam, unter dem es schwärte. Neaira hatte gesehen was unter der Oberfläche dieser Stadt lag – es war genug! Sie tippte Kokkaline auf die Schulter. „Sieh es dir ein letztes Mal an, Kokkaline, denn wir werden nie wieder nach Korinth zurückkehren.“
„Das macht mir nichts aus, Herrin. Ich bin da zu Hause, wo du es bist.“
Neaira hob die Brauen und musterte ihre brave Kokkaline. Warum hing dieses Mädchen so an ihr? Sie hatte Kokkaline geschlagen und herumgescheucht.
Trotzdem war Neaira froh, dass sie bei ihr war. Ihre Hand fuhr wie von selbst über den Kopf des Mädchens, während sie in Gedanken von Korinth Abschied nahm. Kokkaline, das Kätzchen , dachte sie lächelnd.
Als sie die Stadttore Athens passierten, glaubte Neaira niemals glücklicher gewesen zu sein. „Jetzt kehre ich zum dritten Mal nach Athen zurück – und dieses Mal werde ich bleiben.“ Kokkaline bestaunte die weißen Gebäude und die Menschen in den Straßen. „Diese Polis sieht irgendwie aus als wäre sie poliert und gekehrt worden.“
Bei Kokkalines Worten wusste Neaira, dass Athen die richtige Stadt war, um ein neues Leben zu beginnen – ein reines und sauberes Leben, das ihr die Freiheit gewährte, die sie brauchte. Nur noch einem einzigen Mann wollte sie gehören - nicht weil er sie gekauft hatte, sondern weil sie sich mit dem Herzen für ihn entschieden hatte. Dies, so sagte sie sich, war anständig genug für eine Frau wie sie.
Der Wind sandte eine frische Brise vom Meer, und die Geräusche der Stadt drangen gedämpft zu ihr in den Wagen. Ja, es war die richtige Entscheidung gewesen nach Athen zu kommen – hier schwärte nichts unter der Oberfläche was sie hätte fürchten müssen. Neaira kramte in ihren Erinnerungen und erzählte Kokkaline von den eleusinischen Mysterien und den Panathenäen. Es bereitete ihr Freude, die staunende Kokkaline mit ihren Erzählungen zu unterhalten. War sie nicht auch einmal ein Kind gewesen, das sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als die Welt zu sehen? „Wie lange dies alles her zu sein scheint“, flüstere Neaira versonnen. „Als hätte ich bereits viele Leben gelebt und nicht nur dieses eine.“
Phrynions Haus lag am Fuß der Akropolis in einer der besten Gegenden der Stadt. Trotzdem hob es sich von denen seiner Nachbarn durch Größe und den ungewöhnlichen Umstand ab, dass es von einem Garten umgeben war. Phrynions Anwesen ließ die Häuser der Nachbarn geradezu armselig aussehen. „Gärten sind die elysischen Felder des Orients, und ich habe eines davon nach Athen geholt“, erklärte Phrynion ihr und bedachte die Nachbarhäuser mit einem geringschätzenden Lächeln. „Sie meinen, dass ich das demokratische Gesinnungsbild der Polis beleidige, welches uns Schlichtheit und Mäßigung lehrt.“ Er zuckte mit den Schultern. „Es ist nicht meine Lebensphilosophie, also werde ich die Polis weiter beleidigen.“
Neaira meinte, ihr Herz würde stehen bleiben. „Bei meiner schönen Aphrodite! Ich wusste nicht, wie reich du wirklich bist!“
Phrynion lachte ausgelassen. „Gefällt es dir? Du bist verwöhnt, Neaira. Aber das ist gut, denn du bist wie ich.“
Wieder einmal wurde ihr klar, dass sie kaum etwas von Phrynion wusste und ihn trotzdem besser zu kennen meinte als Simos oder Timanoridas. Warum fühlte sie sich ihm so eng verbunden? Als sie durch den Garten gingen, staunte Neaira kaum weniger als Kokkaline. Marmor, wohin man nur sah – ein Wasserspiel, das Gras und die
Weitere Kostenlose Bücher