Der Gesang des Satyrn
mir vor als hätte ich sie allein im Hades verbracht.“
Gesättigt und matt wandte Neaira sich ihm zu. „Du hättest mich bereits früher haben können, so oft du es nur gewollt hättest.“
In Phrynions Augen erlosch das Feuer. Sein Blick wurde düster - so düster, dass Neaira aus ihrer angenehmen Trägheit erwachte und erschauderte. „Nicht so! So wollte ich es nicht“, gab er knapp zu verstehen. Dann war der Augenblick vorbei, und Phrynion zog sie erneut in seine Arme. In Neairas Bauch breitete sich wohlige Wärme aus, und sie wagte endlich ihr Herz zu öffnen, nachdem es so lange Zeit hinter einer schützenden Wand aus Misstrauen, Wut und Hass verborgen gelegen hatte.
Am nächsten Tag ging Neaira mit Kokkaline zur Agora und kaufte allerlei Dinge, die sie meinte zu brauchen. Es war ein angenehm warmer Vormittag, und die Sonne strahlte aus einem blauen Himmel ohne Wolken auf sie hinunter, während sie durch die Straßen Athens schlenderten. Kokkaline war eifrig darauf bedacht einen Tragstuhl zu finden, damit Neaira nicht der Sonne ausgesetzt war. Doch Neaira weigerte sich. Sie hatte keine Lust herumgetragen zu werden – sie wollte laufen, ihre Füße spüren, die Sonne, die Luft um sie herum. Kurz erinnerte sie sich an ihren ersten Ausflug mit Metaneira und Idras in Korinth und sah hinunter auf ihre Füße. „Ich will endlich wieder den Sand zwischen meinen Zehen spüren, Kokkaline.“
Sie kaufte für sich und Kokkaline ein Stück Melone auf der Agora, das herrlich erfrischend schmeckte. Eine Weile saßen sie auf einer Steinbank und beobachteten die Männer in ihren roten Mänteln, die auf dem Weg zu den Gerichtsverhandlungen waren. Sie lachten über zwei alte Väterchen, die in einen Streit gerieten und sich aus zahnlosen Mündern gegenseitig beschimpften. Neaira fragte sich, ob sie auch eines Tages mit Kokkaline hier sitzen würde und sorglos ihr Alter vertrödeln. Zumindest wäre sie wohl die einzige Frau, die das täte, denn bis auf einige Hetären oder Sklavinnen sah sie nur Männer. Aber warum sollte sie sich jetzt, wo ihr Leben erst begann, über so etwas Gedanken machen?
Tatkräftig stand Neaira auf und steuerte den ersten Händlerstand an. Berauscht von der letzten Nacht wies sie auf alles, was ihr gefiel, und die Händler breiteten ihre besten Waren vor ihr aus und wurden beflissener, je mehr Neaira sich aussuchte. Sie kaufte feine Schleier in allen Farben, Webstoffe für ihre Räume, Decken, Vorhänge, Tücher, Polsterstoffe und Schmuck, der mit teuren Steinen besetzt war. Neaira kaufte ungerührt weiter ein, obwohl immer mehr Menschen sie zu beobachten schienen. Die Händler waren neidisch auf jedes Geschäft, das gerade ein anderer mit ihr abschloss und schielten auf Neairas prall gefüllten Geldbeutel, während die Vorübergehenden kurz stehen blieben und den Kopf schüttelten. Neaira tat als bemerke sie die Blicke nicht. Beim nächsten Händler erwarb sie eine Fülle an Schminke und allerlei Zierrat.
Schließlich wies sie die Händler an, die gekauften Dinge am Abend in Phrynions Haus zu bringen. Sie genoss die Verschwendung, in welcher Phrynion lebte, gedankenlos.
Doch Neaira hielt ihrer Verschwendungssucht immer wieder entgegen, dass sie lange genug nur Schlechtes im Leben erfahren hatte.
Phrynion lachte nur, als sie am Abend zurückkehrte, in Begleitung zweier junger Männer, die einen beladenen Karren hinter sich herzogen, von dem sie einen Teil von Neairas Einkäufen abluden. Im Garten stand bereits der Karren mit der ersten Fuhre, den die Händler vorausgeschickt hatten. „Meine schöne und maßlose Tochter der Aphrodite“, sagte Phrynion gutgelaunt. „Du bist meiner würdig, und ich will, dass es alle sehen.“ Dann zog er Neaira an sich, und sie spürte Wellen des Verlangens nach seinen Küssen und seinem Körper sie erfassen.
Phrynions Hände brannten auf ihrer Haut, während er sie ins Andron drängte.
Neaira war sprachlos, denn er hatte alle Feuerbecken entzünden lassen. Schwere Düfte ließen sie beinahe die Besinnung verlieren, während Phrynion sie mit sich auf eine Kline zog, vor der ein Speisentisch aufgebaut worden war. Seine unverhältnismäßig hohe Zahl an Haussklaven war bereits damit beschäftigt, nur mit einem Schurz und einem Efeukranz bekleidet ein überreichliches Mahl aufzutragen. Der Tisch bog sich unter so kostspieligen Speisen wie Zicklein, Siebenschläfer, Rettich, Nüssen, aber auch Muscheln und Amphoren des besten Weines. Es war das unglaublichste
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