Der Gesang des Satyrn
verschwunden. Ihre Gesichtshaut, jetzt bar jeglicher Schminke, war frisch und ihre Wangen vor Aufregung gerötet. Kokkaline, die sich von ihrer Schlafmatte aufrappelte, verneinte und unterdrückte ein Gähnen. Was hatte sich die Herrin jetzt wieder ausgedacht? Am Abend war sie noch rastlos vor Sorge, nur um am nächsten Morgen vor Übermut zu schäumen.
Aufgeregt begann sie zu schwärmen, ohne etwas von Kokkalines Gedanken zu ahnen. „Ach, du müsstest es sehen – die Akropolis mit dem Tempel der Pallas Athene, das Leben auf der Agora ... ich möchte nach Athen gehen.“
Mit entschlossener Miene zog sie das Laken, welches sie sich um den nackten Leib geschlungen hatte, fester um sich. „Finde mir einen Boten, der noch heute nach Athen aufbrechen wird, und sage ihm, dass ich ihn gut dafür entlohne, wenn er mir ein Schreiben dort abliefert.“
Kokkaline, die inzwischen den Schlaf abgeschüttelt hatte, nickte und lief dann angetrieben von Neairas Ungeduld aus dem Haus. Es war wirklich nicht leicht, die Wünsche der Herrin zu erfüllen. Sie musste einige Zeit suchen und wurde nicht selten unwirsch abgewiesen. Je mehr Zeit verging, desto schneller lief sie. Was würde die Herrin mit ihr tun, wenn sie niemanden fand? Als ihre Füße schmerzten und die Angst sie packte, ohne einen Boten zurückkehren zu müssen, fand Kokkaline auf der Agora endlich einen jungen Soldaten, der auf dem Weg nach Athen war. Mit dem Versprechen einer guten Entlohnung brachte sie ihn zu Neaira, die schon ungeduldig wartete und ihm einen Papyrus sowie vier Obolen überreichte. Einmal mehr wunderte sich Kokkaline, dass ihre Herrin sogar schreiben konnte.
„Es ist wichtig, dass du das Schreiben so schnell wie möglich überbringst; und wenn du in Athen einmal Zerstreuung suchst, dann frag nach Neaira. Ich werde dich persönlich willkommen heißen in meinem Haus.“ Sie sagte es wie beiläufig, doch die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht.
Die Blicke des Soldaten fuhren kurz über ihren Körper.
Kokkaline wusste nicht, was ihr peinlicher war – die Blicke des Soldaten oder das offenherzige Angebot. Als der junge Mann fort war, verschwand jedoch die zur Schau getragene Selbstsicherheit ihrer Herrin. „Nun bete zu Aphrodite, dass sie mir helfen wird“, sagte sie zu Kokkaline.
Die nächsten Tage war Neaira gereizt, was Kokkaline dazu veranlasste, ihr so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Erst als gegen Ende des Mondumlaufes ein Mann mit einem Eselskarren bei Timanoridas erschien, fiel die Anspannung von Neaira ab. „Er ist tatsächlich gekommen“, sagte sie beinahe ungläubig zu Kokkaline.
„Du warst dir nicht sicher, dass dieser Mann kommt?“, wagte Kokkaline zu fragen.
Sie schüttelte den Kopf. „Schnell, Kokkaline ... such mir einen Chiton und sorge dafür, dass ich schön bin, wenn er mich sieht ... nicht wie im Odeion, etwas Schlichtes aber Elegantes. Und dieses Mal soll er mein Gesicht sehen, keine bleich geschminkte Maske. Die brauche ich nicht mehr ... nicht bei ihm. Bald bin ich Metökin und muss mich nicht mehr zur Schau zu stellen.“
Der von ihrer Herrin ersehnte Fremde erschien nicht allein - er brachte zwei Freunde mit, die ihm bei der Unterzeichnung der Freilassungsurkunde als Zeugen dienen sollten. Neaira schickte Kokkaline ins Andron, um ihm die tausend Obolen zu bringen. Er nahm sie und bedachte Kokkaline mit einem herablassenden Blick. Er war bildschön, dieser Mann, wie die Statue eines Gottes ...
glatt und makellos. Kokkaline wusste nicht warum sie das beunruhigte, doch es schien ihr so als hätte dieser Mann etwas zu verbergen. Schnell wandte sie ihm den Rücken zu und lief zu ihrer Herrin zurück. Dort ließ sich Kokkaline zu Füßen Neairas nieder, die ihr gedankenverloren über das Haar strich als wäre sie ein Kätzchen. Dann warteten sie gemeinsam - Kokkaline mit ungutem Gefühl, ihre Herrin sichtlich nervös.
Die Herrin sprang von der Kline auf, sobald sie Schritte vor ihren Räumen vernahm. Als er die Tür öffnete, hielt der gut aussehende Mann einen Papyrus in der Hand, mit dem er ihr winkte.
„Tausend Obolen und eine unbequeme Reise von Athen bis nach Korinth hat mich dein Schreiben gekostet.“
Er lächelte, aber Kokkaline hätte nicht sagen können, ob dieses Lächeln freundlich oder spöttisch war. Sie sah nur, dass die Herrin sich lachend in seine Arme warf. Wie seine Arme sich um ihre Mitte schlossen! Kokkaline wusste nicht, warum sie die Umarmung misstrauisch machte, doch ihr Gefühl warnte
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