Der Gesang des Satyrn
Ausmaß an Verschwendung, das Neaira sich hätte vorstellen können. „Das beleidigt die Götter auf dem Olymp“, war das Einzige, was Neaira in Anbetracht des Aufwands einfiel.
„Sie haben die Ewigkeit, wir nur dieses eine Leben.
Also, lass es uns leer trinken wie diesen Wein.“ Er hielt Neaira eine Schale an die Lippen. Der Wein schmeckte süß wie das Laster selbst. Sie schloss die Augen, während Phrynions Hände zu ihren Brüsten wanderten und sie durch den dünnen Stoff ihres Chitons berührten. Am liebsten hätte sie auf all das hier verzichtet und wäre ohne Umschweife mit ihm auf ihre Schlafkline gefallen. Aber Phrynion schickte einen Sklaven nach Mädchen, die Lieder auf der Kithara vortrugen.
Sie waren jung, beinahe noch Kinder, und spielten ruhige oder tragische Stücke, sodass Neaira der Kopf vom Wein und den erlesenen Speisen schwer wurde. „Das ist zu viel“, murmelte sie erschöpft und erdrückt von der Sinnlichkeit des Abends. Phrynion schob seine Hände unter ihr Gewand und forderte sie mit heiserer Stimme auf, sich ihm jetzt und gleich hinzugeben.
„Die Mädchen sind doch noch da.“
Phrynion sah in die kindlichen Gesichter der beiden Mädchen, die ihre Augen auf ihre Instrumente gerichtet hielten und einfach weiterspielten. „Sie sind Schatten des Hades, nur wir sind hier“, drängte er sie weiter.
Schließlich ließ Neaira ihn gewähren und gab sich der Sinneslast des Abends vollkommen hin. „Wir werden das alles nie essen können“, fiel ihr ein während sie die Speisen betrachtete, die sie kaum angerührt hatten.
Phrynion zuckte mit den Schultern. „Wen kümmert es schon, solange es uns glücklich macht! Gib die Reste den Sklaven und vor allem Kokkaline. Sie ist so dünn wie ein Weidenzweig.“
Ja ... mein Kätzchen , dachte Neaira benommen, während Phrynion ihr den Chiton abstreifte. In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie Phrynion liebte obwohl sie geglaubt hatte, nach Hylas nie wieder einen Mann lieben zu können. „Ich liebe dich“, sagte Neaira überrascht von sich selbst, während Phrynion sich über sie beugte.
Er antwortete mit dem ihm eigenen geheimnisvollen Lächeln im Gesicht. „Das musst du auch!“
Die Zeit mit Phrynion wurde zu einem nie enden wollenden Rausch der Sinnlichkeit und der hemmungslosen Hingabe an das Leben selbst, und da sie so glücklich war erinnerte Neaira sich nach einem Mondumlauf mit schlechtem Gewissen, wie boshaft sie Athene bei ihrem letzten Besuch in Athen geschmäht hatte.
War es gut in ihrer Stadt zu leben und sich aus ihren Fleischtöpfen zu bedienen, ohne sie um Verzeihung zu bitten? Welch eine Göttin würde das dulden? Neaira beschloss, Athene ein großzügiges Opfer im Tempel darzubringen und sie um ihren Schutz und ihre Gnade zu bitten.
Kokkaline hatte ihre Herrin in einen gelben Chiton und allerlei Schmuck gekleidet. Sie trug nicht ohne Stolz sechs goldene Trinkschalen auf einer Opferplatte hinter Neaira her, als sie die Stufen des Tempels hinaufstiegen. Es war ein großzügiges Opfer, und Kokkaline achtete darauf, dass die Anwesenden Tempelbesucher sowie die Priester es sehen konnten, so wie die Herrin es ihr aufgetragen hatte.
Augenpaare verfolgten sie, als sie die Stufen zum Tempel hinauf schritten. Gegen Neaira sahen die ehrbaren Frauen, die von ihren Gatten begleitet wurden damit sie Athene ihr Opfer darbringen konnten, wie gerupfte Hühnchen aus.
Neaira war hier um Athene zu opfern, doch sie war auch gekommen, um sich einen Platz in der Athener Gesellschaft zu sichern – das hatte sie Kokkaline gesagt.
Neben den Trinkschalen würde sie den Priestern Athenes einen Beutel mit Münzen für die Armen überreichen, die regelmäßig den Tempel besuchten. Es war immer gut, die Priester auf seiner Seite zu wissen. Kokkaline lauschte den tuschelnden Stimmen der Männer, die sie beobachteten.
„Seht nur, das ist Neaira! Erkennt ihr sie? Man sagt, sie hätte vor einigen Jahren die Männer Athens mit ihrer Schönheit dazu gebracht, ihr Athenes Gewand zu versprechen.“
Kokkaline hielt die Opferplatte fest an ihre Brust gedrückt. Hatte die Herrin das wirklich getan ... sich mit einer Göttin gemessen? Nur schwer gelang es ihr das Zittern ihrer Hände zu verbergen, denn eine Göttin zu beleidigen war eine ernste Angelegenheit.
Ihre Herrin schien dieses Gerede jedoch zu genießen, und Kokkaline beruhigte sich wieder. Voller Ehrfurcht überreichte sie dem wartenden Priester die Platte mit den sechs goldenen
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