Der Gesang des Satyrn
Schalen als sie die Tempelpforte erreichten.
Er nahm sie wortlos entgegen und bat Neaira dann in den Tempel, damit sie ihr Gebet an Athene verrichten konnte.
Kokkaline wartete geduldig und verhielt sich still, während Neaira vor der Statue Athenes stand und ihr das Opfer darbrachte. Als sie ihre Gebete beendet hatte, wandte sie sich zufrieden an Kokkaline. „Nun ist alles gut, Kokkaline.
Wir können gehen.“
Kokkaline erschrak, als sie den Tempel verließen und sich daran machten die Stufen hinunter zu gehen. Um sie herum hatte sich eine Menschenmenge versammelt, die Neaira anstarrte. Irritiert sah Kokkaline in die gaffenden Gesichter der Männer und die geringschätzenden der wenigen Frauen. War das Zorn in ihren Gesichtern, Ablehnung? Unverhohlen und unhöflich starrten sie ihrer Herrin ins Gesicht. Einige der Männer wurden von ihren Frauen lautstark gebeten sie nach Hause zu bringen, da der Anblick einer berüchtigten Hetäre ihnen die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Doch für diejenigen, die gingen, rückten neue Gaffer nach. Schließlich riefen sogar einige der Männer zotige Einladungen in Neairas Richtung.
„Herrin, was sollen wir tun?“
Die braunen Augen Neairas schienen vor Zorn zu glühen, doch sie ließ sich von niemandem in die Knie zwingen. „Anscheinend ist Berühmtheit in Athen nicht so vergänglich wie in Korinth“, entgegnete sie frostig.
Dann schritt sie hoch erhobenen Hauptes durch die Wand aus Leibern. Sie wichen vor ihr zurück und machten Platz, da Neaira nicht bereit war ihnen auszuweichen. Aber Kokkaline konnte sehen, wie sich das Gemüt der Herrin in Anbetracht des Vorfalls verdüsterte. Sie hatte keine Lust mehr über die Agora zu schlendern oder dort zu verweilen, wie sie es sonst gerne tat. Stattdessen kehrten sie an diesem Tag früh in Phrynions Haus zurück.
„Die Tür ist verschlossen“, stellte Neaira fest, als sie vor Phrynions Räumen stand. Ratlos winkte sie einen der hübschen Sklaven heran. Noch nie war sie ins Haus zurückgekehrt und hatte Phrynions Räume verschlossen vorgefunden. Auffordernd wies sie auf die Tür, doch der Junge zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Der Herr hat gesagt, dass er nicht gestört werden will.“
„Das gilt aber nicht für mich.“
„Auch für dich, Herrin. Es tut mir leid.“ Er senkte den Kopf und fragte, ob er gehen dürfe. Neaira erlaubte es ihm und starrte ratlos die verschlossene Tür an. „Hat er vielleicht schon gehört, was vor dem Tempel geschehen ist und schämt sich meiner?“, flüsterte sie Kokkaline zu.
„Vielleicht hat er nur einen ebenso schlechten Tag gehabt wie wir, Herrin“. In Anbetracht der gedrückten Stimmung hielt Kokkaline es nicht für klug, die Herrin zu verunsichern.
Spätestens beim Abendmahl, das Neaira allein in ihren Gemächern einnahm, war die Selbstsicherheit aus ihren Augen verschwunden. Stattdessen schien sie zu leiden, wie Kokkaline es lange nicht mehr gesehen hatte. Die Unruhe der Herrin wuchs noch als Phrynion auch in der Nacht nicht zu ihr kam und auch am nächsten Abend nicht erschien. „Ich habe so furchtbare Angst, dass er mich nicht mehr will“, gab Neaira leise zu und rollte sich auf ihrer Schlafkline wie ein Kind zusammen. Kokkaline setzte sich neben sie auf das Lager und strich ihr durch das Haar, wie die Herrin es oft bei ihr tat. „Er wird kommen, Herrin. Ich bin mir sicher“, redete sie beruhigend auf Neaira ein.
„Wie gut, dass wenigstens du bei mir bist, mein Kätzchen“, murmelte Neaira mit geschlossenen Augen und ließ sich von Kokkaline mit einem Laken zudecken.
Am nächsten Morgen stand Phrynion vor Neairas Kline und beschenkte sie mit einem neuen Peplos.
„Raus mit dir“, forderte er Kokkaline auf, die in der Nacht neben Neaira auf deren Lager eingeschlafen war.
„Warum bist du so grob zu ihr? Sie hat doch nichts Schlimmes getan“, fragte Neaira ihn überrascht, wagte jedoch nicht Phrynion zu verärgern. Sie war viel zu erleichtert, dass er zu ihr zurückgekehrt war.
„Lass uns trinken und feiern“, schlug er vor, ohne auf ihre Frage einzugehen.
Neaira widersprach ihm nicht und fragte auch nicht, was er in den letzten zwei Tagen getan hatte. Die Götter waren launisch; hatte sie es nicht selber vor Athenes Tempel erfahren müssen?
Phrynion verließ am nächsten Tag früh das Haus und kehrte erst spät am Abend zurück.
„Meine Felder werden abgeerntet, und ich muss darauf achten, dass der Verwalter mich nicht betrügt und sich von
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