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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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den Abgaben an die Polis einen Teil abzweigt.“
    In der letzten Nacht war seine Leidenschaft zurückgekehrt. Neaira war froh, dass auch seine gute Laune zurückgekehrt war. Sie würde die Zeit seiner Abwesenheit nutzen, sich von Kokkaline ausgiebig baden lassen und den Schlaf nachholen, den Phrynion ihr in der letzten Nacht geraubt hatte. Als sie am Nachmittag erfrischt ins Andron kam und nicht wusste, wie sie den Rest des Tages sinnvoll nutzen konnte, wurde ihr jedoch langweilig. „Die Agora und den Tempel werde ich erst einmal meiden“, sagte sie zu Kokkaline, die gerade damit zugange war, ihr Mittagsmahl vor ihr auszubreiten. Lustlos knabberte Neaira an einer Olive und legte sie dann zurück auf die Platte. Ihre Stirn zog sich in Falten als überlege sie angestrengt. „Wir machen einen Ausflug, Kokkaline. Es ist an der Zeit, dass ich etwas mehr über Phrynion erfahre.“ Der Gedanke gefiel ihr, da Phrynion sie noch immer verunsicherte – an einem Tag behandelte er sie wie eine Königin, am anderen wie eine Hure. Sie rief einen jungen Sklaven herbei, der ihr erklärte, dass Phrynions Felder zwar außerhalb der Stadtmauern lagen, jedoch nicht weit entfernt von Athen.
    Wenn er sie freundlich empfing, wäre sie beruhigter – wenn nicht ... was sollte das eigentlich? Sie war Metökin, wie sie sich immer wieder gerne erinnerte - frei genug in der Gunst eines einzigen Mannes zu stehen und sich nicht in ihren Frauengemächern zu verstecken.
    Kokkaline genoss die frische Luft und die Sonne auf ihrer Haut, während der Wagen zuerst durch die engen verwinkelten Straßen Athens und dann über freies Land holperte. Neaira, die neben ihr saß, ließ ihre Beine baumeln und kaute auf einem Grashalm. „Das war ein guter Einfall, nicht wahr Kokkaline?“
    Kokkaline zog ihrer Herrin den Grashalm aus dem Mund, damit diese Phrynion nicht mit grünen Zähnen anlächeln würde, und reichte ihr stattdessen ein Stück des Apfels, den sie mit einem kleinen Messer geteilt hatte. Ja, es war ein guter Einfall gewesen, aber sie würde ihr nicht sagen weshalb. Sie würde der Herrin nicht erzählen, dass die Atmosphäre von Phrynions Haus sie bedrückte und dass seine Anwesenheit sie ängstigte. Es schien etwas Lauerndes an diesem Mann zu sein. Aber ihre Herrin war glücklich, und Kokkaline war zufrieden, wenn die Herrin es war.
    Die Fahrt auf dem Wagen hätte für Kokkaline ewig dauern können, so befreit fühlte sie sich hier draußen, nur umgeben von wogenden goldgelben Feldern. Nach einer Weile sah sie die braungebrannten Leiber der Sklaven, die in der prallen Sonne ihre Sicheln schwangen und die reifen Ähren vom Feld pflügten. Ihr Anblick verursachte Kokkaline Unbehagen, denn sie waren Sklaven wie sie auch. Doch das Schicksal hatte ihnen bestimmt mit krummen Rücken auf den Feldern zu schuften, während Kokkaline abgesehen von ein paar Wutausbrüchen ihrer Herrin, gut behandelt wurde. Als sie näher kamen, konnte sie die Gesichter der Unglücklichen sehen. Sie waren zerfurcht von der Sonne, von Jahren harter Arbeit und vom Hunger, den sie erdulden mussten. Es waren Junge und Alte, sogar Frauen, aber sie alle schienen nur ein Gesicht zu sein – ein einziger stummer Anblick des Jammers und der Hoffnungslosigkeit. Aufseher gingen zwischen ihnen umher und schlugen mit Stöcken auf die Rücken derjenigen ein, die zu langsam arbeiteten.
    Zerlumpte Mädchen trugen Wasserschläuche und ließen diejenigen trinken, die drohten vor Erschöpfung zusammenzubrechen. Es waren armselige Wesen, und Kokkaline dankte einmal mehr den Göttern dafür, dass sie nicht eine von ihnen war. Neaira neben ihr legte die Hand an die Stirn, um besser sehen zu können. Kokkaline folgte ihren Blicken. Phrynion oder seinen Verwalter konnten sie jedoch nicht ausmachen. „Wo ist er denn, Kokkaline?“ Sie fragte den Knaben, der den Wagen fuhr, ob dies Phrynions Felder wären.
    „Ja, Herrin. Alles was du siehst gehört dem Herrn Phrynion.“
    Neaira sprang vom Wagen und rief einen der Feldsklaven zu sich. Er ließ seine Sichel sinken und kam zu ihr, wobei er sich ängstlich umsah, ob auch kein Aufseher in der Nähe war. Kokkaline bedauerte ihn, denn er war noch nicht alt, durch die Sonne und die harte Arbeit jedoch ausgezehrt. Sein Körper war braun wie gebrannter Ton und seine Brust sehnig. Achtlos wischte er sich mit der schweißnassen Hand über das verbrannte Gesicht und blieb dann vor Neaira stehen.
    „Hylas?“, vernahm Kokkaline die viel zu hohe Stimme

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