Der Gesang des Satyrn
Aphrodite. Was sollte ich fürchten ... nicht die Götter und schon gar nicht die Menschen.“
Der junge Mann schluckte bei ihren Worten. Dann beugte er sich zu ihr und flüsterte heiser: „Stimmt es, was in Athen erzählt wird ... von diesem Fest im Haus des Chabrias?“
Neaira zwinkerte ihm zu. „Wenn ich zurück in Athen bin, besuche mich in Phrynions Haus und finde es heraus, Athanas.“
Er hätte es gerne sofort herausgefunden. Aber eine Einladung der berühmten Neaira erhalten zu haben war viel besser, als sie auf einem Eselskarren betatschen zu dürfen. „Bei den Göttern ... nichts lieber als das Neaira!“
Dann winkte er sie durch und gab seinen Kameraden zu verstehen, dass man sie nicht aufhalten sollte.
Neaira grinste innerlich, als sie den erhitzten Jungspund zurückließ. Dann fiel ihr noch etwas ein. Sie wandte sich um, bevor sie die Tore passierten. „Was diesen Händler angeht, Athanas ... ich habe den Karren von ihm gekauft, ebenso wie seine Sklavin. Ich hoffe, dass du und deine Kameraden ihm einen schlagkräftigen Gruß von mir ausrichten werdet!“
Athanas rief ihr hinterher: „Bei Zeus, sei versichert, dass er deine „Grüße“ erhalten wird!“
Als die Sonne hoch am Himmel stand, lagen die Stadtmauern Athens weit hinter ihnen. Der Wagen rumpelte vor sich hin, und Kokkaline war sich sicher, dass entweder seine Achse brechen würde oder der alte Esel zusammenklappte. Es war kühl geworden, und sie hatte ihrer Herrin einen Umhang um die Schultern gelegt. Sie selber teilte sich einen Umhang mit Thratta, die müde den Esel antrieb. Vor ihnen lag ödes steiniges Land. „Wohin werden wir gehen, Herrin? Nach Korinth können wir doch nicht zurück.“ Ebenso wie ihre Herrin war Kokkaline Unbequemlichkeit kaum noch gewohnt.
„Ich werde ein eigenes Haus führen und muss mich in einer Polis niederlassen, die dazu geeignet ist. Eine Polis, in der Reisende verkehren. Da wir weder nach Athen noch nach Korinth gehen können, gehen wir nach Megara – genau zwischen Korinth und Athen.“
Kokkaline nickte, obwohl sie wenig Gutes über Megara gehört hatte. Die Polis war in einen Krieg zwischen Athen und Sparta geraten. Viele der dort ansässigen Händler waren nach Athen gekommen, da ihre Geschäfte in Megara nicht gut liefen. Aber wenn die Herrin eine Entscheidung getroffen hatte, konnte nichts und niemand sie von ihrem Entschluss abbringen. Außerdem hätte sie auch keinen besseren Vorschlag einbringen können. Thratta schwieg.
Sie schien damit zufrieden zu sein, den Esel anzutreiben.
Sie erreichten Megara am Abend - verstaubt, verschwitzt und müde. Kokkalines Hinterteil tat weh, und der Esel ließ sich nicht mehr führen. Durstig steuerte er auf eine Viehtränke zu, ohne dass Thratta ihn davon hätte abhalten können. Sie mussten ihn saufen lassen, bevor er sich dazu bewegen ließ, den schweren Karren noch eine Weile zu ziehen.
Neaira mietete sich für die Nacht in ein Zimmer ein, das schäbig aber günstig war. Von der Wirtin ließ sie eine einfache Mahlzeit bereiten, und lehnte die Frage der Frau ab, ob sie gedenke, das Zimmer für längere Zeit anzumieten und ein Gewerbe zu betreiben. „Ich brauche ein eigenes Haus.“
Enttäuscht zuckte die Frau mit den Schultern.
Kokkaline und Thratta rollten sich auf dem Webteppich zusammen, während Neaira sich müde auf das harte Lager fallen ließ. Sie wollten nur noch schlafen.
Neaira zeigte sich enttäuscht als sie am nächsten Tag mit Kokkaline und Thratta durch die Straßen ging. Die Männer, die ihr begegneten, waren einfache Arbeiter, Sklaven, die geringe Dienste verrichten mussten oder Händler, die wenig besaßen. Kokkaline fand, dass die Polis ein trostloses Bild abgab. Ein Mann, bei dem die Herrin sich erkundigte, warum so wenig Reisende in der Stadt waren, schüttelte er den Kopf. „Es herrscht Krieg zwischen Athen und Sparta. Die Seehandelswege sind blockiert, weil Megara sich den Spartanern angeschlossen hat. Es sind keine guten Zeiten.“
Als sie an diesem Tag zu ihrer schäbigen Unterkunft zurückkehrten, schwiegen sie alle drei bedrückt. Kokkaline fragte sich, wie es weitergehen sollte. Beunruhigt musterte sie die Frauen, die vor dem Haus der Wirtin herumstanden und gelangweilt nach Männern Ausschau hielten. Ihre Kleider waren bunt und aus minderwertigen Stoffen, ihre Schminke grell und unordentlich auf die verlebten Gesichter aufgetragen. Beim heiligen Abbild der Aphrodite konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihre Herrin
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