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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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Räumen stand. „Fang damit an. Nimm alles, was kostbar und tragbar ist, – Schmuck und Dinge, die mit Gold und kostbaren Steinen ausgestattet sind.“
    Kokkaline schlich durch die dunklen Gänge, darauf bedacht nirgendwo anzustoßen. Sie nahm goldene Statuen von Sockeln und Beistelltischchen, drehte prüfend eine Schatulle in den Händen, die Einlegearbeiten aus Schildpatt besaß. Neaira nahm indes ihre Gewänder, Sandalen und den Schmuck, welchen Phrynion ihr geschenkt hatte, und schnürte sie in ein Bündel aus Webdecken. Als sie ihre Räume verließ, hatte sich Kokkaline bereits bis ins Andron vorgearbeitet. Neaira blieb unvermittelt stehen und wischte sich Tränen aus den Augen. Es tat weh, wieder einmal in die Ungewissheit aufzubrechen.
    Im Andron roch es nach erkalteter Asche und Erbrochenem. Neaira half Kokkaline, die erbeuteten Schätze in eine zweite Webdecke zu schnüren. Der Anblick der vielen kleinen Dinge, an die sie sich gewöhnt hatte, raubten ihr fast die Kraft weiterzumachen. Da war das Mosaik, das Phrynion so sehr liebte, da es Dionysos inmitten einer Schar von Mänaden und Satyrn zeigte, und neben der Kline noch die Weinschale, aus der er am heutigen Abend getrunken hatte. Neaira hob sie auf und legte sie in Kokkalines Bündel – die Sentimentalität einer dummen Frau, doch dieses letzte Stück Erinnerung wollte sie behalten. Einen Augenblick verharrte Neaira und betrachtete das Haus, welches ihr ein Heim hätte werden sollen. Wehmut und Kummer legten sich auf ihr Herz, und sie nahm innerlich Abschied von ihren Hoffnungen und Träumen. Lebe wohl, Phrynion! Wenn du morgen erwachst, wirst du eine böse Überraschung erleben. Du wirst mir ebenso fehlen wie ich dir, da mein dummes Herz noch immer nicht von dir lassen kann ...
    trotz allem, was du ihm angetan hast. Es war ein zu schöner Traum ...
    Kokkaline öffnete die Tür, und kalte Nachtluft schlug ihnen entgegen. Neaira erschauderte. Wie einfach wäre es gewesen, in ihre Räume zurückzugehen und die gestohlenen Sachen wieder an ihren Platz zu stellen. In ihrem Räumen war es warm und gemütlich, und ... Nein! Es war eine Lüge, und sie musste damit aufhören, sich selber anzulügen. Neaira zog ihren Mantel enger um die Schultern, dann schlüpfte sie in ihre Sandalen und schulterte ihr Bündel. „Auf der Agora bezahlen wir einen Händler, damit er uns seinen Eselskarren überlässt. Bald wird der Tag anbrechen, und die Händler kommen, um ihre Stände aufzubauen. Wir haben bis zum Mittag Zeit aus Athen zu verschwinden – dann hat Phrynion seinen Rausch ausgeschlafen.“
    Kokkaline nickte in der ihr schlichten Ergebenheit, und sie machten sich auf den Weg, wobei sie darauf achteten, mit den Schatten der Nacht zu verschmelzen und niemandem über den Weg zu laufen. Zwei Frauen, die nachts alleine umherstreiften, würden die Stadtwachen misstrauisch machen. Es war nicht weit zur Agora, da Phrynions Haus im Zentrum der Polis lag. Die Agora erwachte bereits, als die beiden Frauen sie erreichten. Wie Schatten huschten müde Sklaven umher, entluden Karren und wurden von ihren Herren angetrieben schneller zu arbeiten. Neaira ging geradewegs auf einen Karren zu, von dem eine junge Sklavin Krüge entlud. „Wo ist dein Herr?“
    Die Sklavin fuhr erschrocken herum und starrte Neaira an als hätte sie ihr Prügel angedroht. Sie war ein dürres Ding, jünger noch als Kokkaline, vielleicht seit einem Jahresumlauf dem Kindesalter entwachsen. Ihre erschrockenen Augen erinnerten Neaira an dunkle Perlen aus Glasfluss.
    „Er unterhält sich mit dem Tuchhändler“, antwortete die Sklavin ängstlich und wies mit dem Kopf in Richtung zweier Männer, die müßig ein Morgenmahl einnahmen und dabei ein wachsames Auge auf ihre Sklaven hatten. Neaira meinte, selten ein so verschrecktes Mädchen gesehen zu haben. Trotz der Dunkelheit konnte sie Verletzungen auf den Armen und Schultern der Sklavin erkennen. Das war eine Weidenrute ... ich kenne diesen Anblick nur zu gut , dachte sie mitleidig. Neaira löste den Blick von den roten und blauen Striemen und folgte dem Nicken des Mädchens mit den Augen. Voller Abneigung musterte sie den beleibten Mann, der nur ungern von seinem Morgenmahl abließ als er sie sah. Mit verärgertem Gesicht begaffte er sie von oben bis unten. Neaira sah auf seine Hände und konnte sich nicht erinnern, jemals so große und grobe Hände gesehen zu haben.
    „Was willst du von meiner Sklavin?“
    Neaira sah dem Mann herausfordernd in die

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