Der Gesang des Satyrn
sich über neue Mädchen freuen würden.“
„Ich bin nicht interessiert an schmutzigen Seeleuten und Arbeitern, die mir einen Obolus für meinen Körper zahlen.“
Beleidigt verschränkte die Frau die Hände vor der Brust und musterte Neaira. „Du bist anspruchsvoll für eine Frau deines Alters. Bist du nicht bereits über fünfundzwanzig Jahresumläufe alt?“
Kokkaline hätte nichts lieber getan, als dieser dreisten Frau einen Bronzespiegel vor das verlebte Gesicht zu halten. Ihre Herrin war noch immer schön und ihr Körper schlank.
Die Wirtin, der man ansah, dass auch sie einst in diesem Gewerbe gearbeitet hatte, zuckte mit den Schultern.
„Früher oder später wirst du in meinem Haus arbeiten.“
Kokkaline war nicht unglücklich darüber als Neaira der Wirtin mitteilte, dass sie das Zimmer in ihrem Haus nicht mehr benötigen würde. Ihre Herrin brauchte die Angebote dieser Frau nicht. Sie war eine berühmte Hetäre!
„Und doch hat sie recht“, überraschte Neaira Kokkaline als diese sich über das dreiste Angebot der Wirtin empörte. Sie gingen durch die Straßen Megaras und begutachteten einige der Häuser, welche die Wirtin ihnen genannt hatte. Neaira hatte bis jetzt keines von ihnen gefallen. „Wie lange wird mein Lächeln den Männern noch Geschenke entlocken können, und wie lange werden sie mir noch Athenes Gewand versprechen? Es wird Zeit, dass ich mir Vermögen erwerbe.“
Am Nachmittag besaß Neaira ein eigenes Haus. Der Mann, der es ihr verkaufte, verlangte nur einen geringen Preis. Von Phrynions Kostbarkeiten blieben noch genug, um das neue Heim geschmackvoll einzurichten. Das Haus hatte einem reichen Fremdländer gehört und war mit opulenten Malereien und allerlei Wand-und Bodenverzierungen ausgestattet. Das Andron war größer als gewöhnlich, aber vor allem besaß das Haus einen Garten. Er war nicht so groß wie Phrynions Garten, aber geheimnisvoll und sinnlich, mit einem Wasserspiel und wilden Blumen, die weder Neaira noch Kokkaline kannten.
Der Fremdländer musste sehr reich gewesen sein, denn das Anwesen besaß auch einen Anbau mit
Dienstbotenunterkünften. Neaira nannte das Haus einen Tempel, der Geldbeutel öffnen würde. „Besser hätte es nicht passen können“, versicherte sie Kokkaline, die das Anwesen an Phrynions Haus erinnerte – ein orientalisches Elysium.
„Wir werden nicht verschwenderisch sein können, also legt einige Gemüse-und Kräuterbeete im hinteren Teil des Gartens an. Thratta soll die Mahlzeiten bereiten und für die Einkäufe sorgen. Du, Kokkaline, wirst die Herren bewirten, die ich empfange. Ein großes Haus wie dieses bedeutet viel Arbeit für euch beide allein, aber wenn die Geschäfte gut gehen, kann ich Sklaven kaufen, die euch helfen.“
Neaira ging mit Enthusiasmus an die Einrichtung ihres Androns und ihrer persönlichen Gemächer. Da es im Haus viele freistehende Zimmer gab, erhielten sogar Thratta und Kokkaline eigene Räume. Vor allem Thratta staunte mit offenem Mund, als sie in ihrem kleinen Zimmer stand, in dem es sogar ein Bett gab. Ehrfürchtig setzte sie sich auf die Polster und flüsterte: „Ich hatte noch nie ein eigenes Zimmer und habe noch niemals auf etwas anderem als einer Matte oder einem Strohsack geschlafen!“
Auch Kokkaline hatte bisher kein eigenes Zimmer gehabt und fand es zunächst ungewohnt auf einem Polster zu schlafen. Zweimal fiel sie nachts von ihrem Lager, bis sie sich daran gewöhnt hatte. Trotzdem gefiel es ihr. Es war wie im Traum – sie hatten ein eigenes Heim!
Die ersten Tage verbrachte Neaira mit dem Einrichten ihres neuen Hauses und kaufte Möbel und Stoffe auf dem Markt. Auch Kokkaline und Thratta erhielten neue Gewänder – bodenlange weiße Frauengewänder mit einem schlichten Gürtel. „Ihr seid keine einfachen Sklaven mehr, sondern Dienerinnen in meinem Haus. Ein Sklavenchiton wäre nicht mehr angebracht“, bemühte sich Neaira ihr ungewöhnliches Geschenk zu rechtfertigen. Kokkaline spürte, wie ihr Herz stolz gegen die Brust schlug. Zuerst ein eigenes Zimmer, und jetzt kaufte die Herrin ihnen neue Gewänder. Obwohl sie eine Sklavin war, hatte sie sich noch nie so frei gefühlt. Es war ein schönes Gefühl, und an Thrattas glänzenden Augen erkannte sie, dass auch sie glücklich war. Neaira kaufte Wein und Geschirr, das Kokkaline und Thratta auf den Eselskarren luden. Sogar der alte Esel schien seine Lebensgeister wiedergefunden zu haben, da Neaira Kokkaline anwies, ihn gut zu
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