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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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straffen, aufrechten Haltung bewundern, mit der er früher durch die Straßen der Stadt zu seiner Bank schritt.
    Er starrte blicklos vor sich hin, die wichtigen Schreiben auf seinem Schreibtisch, die ihn hätten beschäftigen sollen, beachtete er nicht. Er ließ auch keine Boten aus seinen Kontoren zu sich.
    Maria Christina war das schönste seiner Kinder gewesen, mit ihrem samtroten Haar und den weit auseinander stehenden, rauchgrauen, zu den Schläfen hin sich schlitzenden Augen.
    Selten hatte sie geweint, und wenn, dann hingen die Tränen wie Tautropfen an ihren dichten Wimpern, bis sie über die glatte, helle Haut rannen wie Perlen.
    Er sah sie als ganz kleines Mädchen, angetan mit einem weißen Kleidchen, dessen gestärkter Rock weit abstand, eine grüne Schärpe um die Taille und grüne Schuhe an den weißbestrumpften Füßen.
    Von einer Reise nach London war er zurückgekehrt, und sie war ihm als erste entgegengelaufen, noch ehe die Kutsche hielt. Er war aus dem Wagen gesprungen und hatte sie in seine Arme geschwungen, und sie hatte gelacht und geweint und geflüstert und gejauchzt. Aber dann, ihn sehr ernsthaft anblickend, gesagt, mit beinahe unkindlicher Stimme: ›Papa, du warst sechsundzwanzig Tage fort. Laß mich nie wieder so lange allein, ich bitte dich.‹
    Da mußte sie vier oder fünf Jahre alt gewesen sein und konnte doch schon die Tage zählen, die er seiner Familie fernblieb oder fernbleiben mußte.
    Er dachte auch an Elvira, die Geliebte seiner dreißiger Jahre, die er wegen Maria Christina aufgegeben hatte, weil er Elvira einmal mit hinaus auf die Finca genommen und das Kind gesagt hatte: ›Papa, sie ist eine böse Frau, sie hat Geld in den Augen.‹ Das Kind, sechs oder sieben Jahre damals, hatte die Habgier erkannt.
    Er ließ Maria Christina zuerst von einer französischen und dann einer englischen Gouvernante erziehen, aber das Mädchen sagte schließlich: ›Papa, ich will in die öffentliche Schule. Du willst mich doch dem Leben nicht fernhalten, das ich erlernen muß?‹
    Er lehrte sie schwimmen und reiten und mit Stieren umzugehen, und die Frauen in seinem Hause schüttelten den Kopf über dies alles.
    Selten stritt er sich mit Maria Teresa, seiner Frau, aber es gab ein großes Gezänk, als er entschied, daß Maria Christina mit ihrer Schwester Elvira die Großstädte Europas besuchen sollte.
    Maria Christina kehrte mit einem tiefen, dunklen Leuchten in ihren Augen aus Paris zurück und war mit ihm allein in diesem Raum, in dem es nach dem Leder der Bücher roch und nach dem Leder der Sessel und den schweren Vorhängen aus dem dunklen Brokat von Damaskus und dem Öl der Messing- und Silberlampen, die er lieber anzündete als das elektrische Licht. Und sie erzählte ihm, daß sie einen Mann in Paris getroffen habe. Einen Journalisten, einen Amerikaner, ›einen Mann, wie du es bist, Papa‹.
    Er würde kommen und um ihre Hand anhalten, dieser junge Mann aus Amerika, und es schmerzte ihn zu sehen, daß sie bald nicht mehr ihm allein gehören würde, daß sie ihre Gedanken und Gefühle mit einem Fremden teilen könnte.
    ›Ich liebe ihn, wie du Elvira geliebt hast‹, sagte die Achtzehnjährige, ›aber er hat kein Geld in den Augen. Er weiß nicht einmal, daß ich reich bin oder es sein werde. Er weiß nur, daß ich aus einer guten Familie stamme, aus einer alten, stolzen Familie aus Córdoba.‹
    ›Und wo stammt er her?‹
    ›Aus Boston. Wenn du ihn siehst, wirst du erkennen, warum ich ihn liebe. Er gleicht dir, Papa, nur daß er nicht dein schwarzes Haar hat. Aber er hat Augen wie du, voller Liebe und Verständnis und voller Kraft.‹
    Es war ihm nun, als stünde sie wieder vor seinem Schreibtisch, sehr schlank in ihrem rehbraunen Reisekleid, sehr hell ihre Haut, die Schläfen bläulich schimmernd, ihr Mund rot und lockend, obwohl sie gewiß kein Rouge benutzte.
    ›Wirst du ihn empfangen, Papa? Und wirst du mit ihm so ehrlich sein, wie ich es war, als ich deine Elvira sah?‹
    ›Das werde ich‹, sagte er.
    Da kam sie zu ihm und setzte sich auf seine Knie und umschlang ihn fest mit ihren beiden Armen, und so saßen sie lange sehr, sehr still, weil Worte nicht mehr nötig waren.
    Aber dann hatte er es geschehen lassen, daß sie, noch ehe der junge Mann aus Boston eintraf, ins Kloster gebracht wurde, zur Sühne für Juans böse Tat.
    Er hatte es geschehen lassen, weil es in seiner Familie so üblich war.
    Die Tür seines Arbeitszimmers war nicht verschlossen, aber jeder im Hause hatte

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