Der Gesang von Liebe und Hass
dann, nach der Machtübernahme durch die Volksfront, so offen, wie man es nur haben wollte. Er legte keinen Wert darauf, als vermittelnder Geist für alle linken Richtungen zu gelten – für ihn gab es nur eins: die Regierung der Bolschewiki nach russischem Muster. Die sowjetischen Berater saßen stumm und lächelten.
»Genosse Barca, ich rufe Sie zur Ordnung!« rief Marco Luiz, der Präsident des Parlaments, das längst keines mehr war, nur noch ein Akklamations- und Disputationstheater wie Hitlers Reichstag.
General Asensio räusperte sich.
Sie wurden wieder still, warteten darauf, daß er sich die nächste Blöße gab.
»Die Republik ist mit Ausnahme der Offensiven bei Toledo und Guadalajara in der Verteidigung geblieben, obwohl wir im Anfang über mehr Soldaten, Waffen und Munition verfügten als die Rebellen. Die Rebellen waren und sind uns nur in einem überlegen: in der geordneten, von einem Stab von Generalen geleiteten, koordinierten Kriegsführung. Auf Seiten der Rebellen müssen nicht zwölf oder achtzehn Parteiführungen gefragt werden, ob man das wohl dürfe, was man vorhat.«
»Schweinehund!« schrien sie. Nun hatten sie endlich den Sündenbock für ihr eigenes Versagen gefunden. »Verräter! Kanaille!«
»Ruhe!« rief der Parlamentspräsident.
»Ich möchte ebenfalls um Ruhe bitten, denn es geht um Spanien«, sagte General Asensio mit leiser, daher um so wirkungsvollerer Stimme. Sie schwiegen. Sie würden schon mit ihm abrechnen. Der Tag würde kommen.
»Da wir uns in der Defensive keine Lorbeeren geholt haben, schlage ich eine einzige, konzentrierte Offensive vor, die den Gegner mit einem Schlag zum Rückzug zwingt und womöglich sogar den Krieg schnell entscheidet. Denn einen langen Krieg, den können wir uns nicht mehr leisten. Nicht bei der Unterstützung, die Hitler und Mussolini den Rebellen zukommen lassen, während wir vom westlichen Ausland mit dem ›Nichteinmischungspakt‹ bedacht worden sind. Unsere einzigen, hm – Freunde, sind die Sowjetrussen.«
Diese Sowjetrussen hatten das kurze Zögern im letzten Satz des Generals wohl vernommen, aber sie ließen sich nichts anmerken. Sie lächelten verbindlich und erwiderten die kleine Verneigung, die der Ministerpräsident in ihre Richtung machte, mit einer Verbeugung.
»So werden die Genossen aus der Sowjetunion verstehen, daß wir sie um schnellste Hilfe bitten, um eine hundertprozentig erfolgreiche Offensive gegen die Provinz Estremadura zu beginnen, Badajoz wieder zu erobern, das faschistische Spanien in zwei Teile zu spalten und damit den Krieg für uns zu gewinnen. Die Pläne für die Offensive sind schon ausgearbeitet, unter der Voraussetzung, daß wir Panzerwagen, Geschütze und Flugzeuge von anderen Frontabschnitten abziehen und der Badajoz-Armee unterstellen können. Dies wiederum setzt voraus, daß Sowjetrußland uns schnellstens Ersatz für diese Waffen liefert, damit die anderen Frontabschnitte nicht zusammenbrechen. Die Sowjetunion würde uns damit einen großen Freundschaftsdienst erweisen. Und obendrein –«, er schien eine Sekunde lang zu zögern, blickte dann die Russen scharf an und sagte, »es wäre ja nicht kostenlos.«
Eisige Stille herrschte im Raum. Nur wenige wußten, einige ahnten, was General Asensio meinte; aber es auszusprechen, erschien ungeheuerlich.
Einer der populärsten Kriegshelden auf rotspanischer Seite während des Bürgerkrieges war der Kommandeur der 46. Stoßdivision der Internationalen Brigaden, Valentin Gonzalez, genannt ›E1 Campesino‹ wegen seiner direkten Art, seiner harten Fäuste, seiner scharfen, bauernschlauen Zunge. Dieser ›Bauer‹ schlug sich den ganzen Krieg über mit äußerster Tapferkeit. Als die Republik den Krieg verlor, verließen Hunderttausende Spanien, unter ihnen auch El Campesino. Er ging in die Sowjetunion, die er wirklich für das Vaterland aller Werktätigen hielt. Aber schon bald geriet er mit seinen Begriffen von Freiheit und Sozialismus in Konflikte. Rußland war zu diesem Zeitpunkt ein im Würgegriff des Stalinismus erstarrtes Land, in dem es keinen Platz für Leute wie den Campesino gab. Schnell begann sein Leidensweg – Ächtung, Anklage, Verhöre, Gefängnis, schließlich Deportation nach Sibirien. 1948 gelang ihm die abenteuerliche Flucht aus dem Gulag nach Frankreich. Er schrieb über seine Erfahrungen, aber niemand glaubte ihm so recht, bis Solschenizyn und andere Zeugen seine Aussagen bestätigten. Nie verlor El Campesino sein Lebensziel aus dem
Weitere Kostenlose Bücher