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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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sich silbriggrün und noch später rot und golden, als sei es schon Herbst geworden.
    Die Sonne ging unter und zog mit schwarzem Tuschestift die Täler in die Flanken der Berge und zerbrach über ihren Spitzen Bündel von Licht.
    Maria Christina war bisher durch kein Dorf gekommen, hatte sie nur rechts und links des Weges wie gluckende Hennen entdeckt, mit ihren geweißten Mauern und ihren roten Dächern.
    Wo sollte sie die Nacht verbringen? Die Straße verlassen, in einem Dorf Zuflucht suchen?
    Sie wußte nicht, wie weit sie gegangen war, sie wußte nicht, wo die Front verlief, ihr war es, als könnte es hier gar keine Front geben, als befinde sie sich in einem Landstrich, den bisher nur sie durchquert hatte.
    Es war wirklich sonderbar, daß sie auch keinem Bauernkarren begegnet war und überhaupt keinem Fahrzeug und keinem einzigen Menschen.
    Aber sie hatte sich an den Weg gehalten, den Brenski ihr eingeprägt hatte für den Fall, daß sie voneinander getrennt würden. Und auf der Karte im Büro des Grauäugigen hatte sie die dünne Linie dieses Weges auch eingezeichnet gesehen.
    Der Grauäugige hatte ihr eine Feldtasche gegeben, aus grobem Leinen, wie ihr Vater sie auf der Jagd über die Schulter geschlungen trug. Darin befand sich, wie sie rasch nachgeschaut hatte, ein kleiner Tonkrug mit Öl, ein Kanten Brot und eine dicke Knoblauchzwiebel.
    Nichts hatte sie bisher davon angerührt, aber jetzt, als es Abend wurde, spürte sie den Hunger.
    Sie verließ die Straße und wandte sich einem Korkeichenhain zu.
    Manchmal gab es in ihrem Windschutz Hütten von Schäfern und manchmal auch Brunnen oder Zisternen.
    Sie fand keine Schäferhütte, aber einen Unterstand, der erst kürzlich verlassen worden war; ein Dach aus verdorrten Zweigen und Blättern.
    Soldaten hatten hier im Anschlag gelegen, von welcher Seite, wußte sie nicht.
    Sie fand leere Patronenhülsen und leere Konservendosen aus dunklem Blech, die nach verrottetem Fleisch stanken. Aber sie fand nahebei auch eine kleine, ausgemauerte Zisterne, mit einem Deckel aus glattem, silbrigem Holz bedeckt. Am Riegel des Deckels war ein Tonkrug mit einem Seil befestigt. Als sie ihn hinabließ und das Wasser schöpfte, war es kühl und frisch, als habe es gerade erst geregnet.
    Sie trank und wusch sich Gesicht und Hände, und schließlich schöpfte sie noch einmal Wasser und trug es vorsichtig in den Unterstand.
    Sie zog sich aus und tränkte ihr Hemd im Wasser und rieb ihren ganzen Körper damit ab.
    Sie hätte auch gern ihre Kleider gewaschen, aber sie wollte kein Wasser vergeuden, denn wenn die Schäfer kamen, würden sie es bitter nötig haben.
    Also schüttelte sie nur den Staub aus ihrem Rock und der Bluse und zog sich wieder an, das nasse Hemd kühl und erfrischend auf ihrer Haut.
    Sie brach ein Stück von ihrem Brot, träufelte von dem Olivenöl darauf, drückte zwei Knoblauchzehen hinein und schloß die Augen, während sie langsam, jeden Bissen genießend, aß.
    Und es war ihr, als höre sie ihren Vater sagen: ›Gott hat uns alles gegeben: die Trauben, um Wein zu keltern, das Wasser, um unsere Kehlen und unseren Körper zu erfrischen, das Öl und das Korn und die Zwiebeln und Knoblauch, um uns zu ernähren. Denn ihr solltet immer daran denken, von diesen Dingen kann der Mensch leben. Es genügt, um ihn bei Gesundheit zu erhalten.‹
    ›Aber die Milch der Ziegen und der Kühe und die vielen Früchte, all die Beeren und das Wild – wenn wir es nicht brauchen, warum hat Gott uns das auch geschenkt?‹ hatte Frederico gefragt.
    ›Er hat es uns geschenkt, damit wir uns zusätzlich daran erfreuen. Gott hat uns all diese Gaben geschenkt, weil er großzügig ist. Aber vergeßt nie, daß viele Menschen auch ohne diese Gaben auskommen müssen in unserem Land. Und in allen anderen Ländern. Lernt die einfachen Dinge mehr zu schätzen als alles andere, denn sie erhalten euch das Leben.‹
    Zwei Leben, dachte Maria Christina, während sie einschlief. Die Gaben eines grauäugigen Mannes, der sein eigenes Mitleid nicht wahrhaben will, erhalten mich und mein Kind am Leben.
    In der Nacht fielen Donner und Blitze aus dem Himmel und stachen aus der Erde zum Himmel empor.
    Maria Christina wußte, daß sie sich ganz nah vor der Front befand.
    Zuerst lag sie starr vor Angst und sah über sich leuchtende Kugeln explodieren und hörte das schrille und doch dumpfe Getön der Geschütze.
    Dann dachte sie daran, was Brenski einmal achtlos gesagt hatte: ›Man muß nur flink wie ein

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