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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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Hase sein, seine Haken schlagen, dann kommt man überall durch.‹
    Sie hing sich die Feldtasche über die Schultern. Und in gebücktem, hakenschlagendem Lauf verließ sie ihren Unterstand.
    Manchmal war es, als renne sie geradewegs in eine Wand aus Feuer hinein.
    Und dann lag das Feuer plötzlich hinter ihr und schien zu verblassen, und sie wußte, sie hatte die Front durchquert.
    Sie fand einen Straßengraben, in dem dichtes, weiches Unkraut wuchs, aber auch Salbei und Thymian.
    Sie war jetzt sehr müde und erschöpft und schlief sogleich ein. Sie verschlief sogar den Aufgang der Sonne.
    Als es längst Tag war, ging sie weiter, wieder einen Feldweg entlang, der sich gelb bis zum Horizont zog. Der Staub war weich unter ihren Füßen, und sie spürte die spitzen Steine nicht mehr.
    Man kann immer wieder nach Hause gelangen, dachte sie, wenn man es nur will.
    Und ich will es.
    Vor ihr waren andere Hügel und Berge, aber dahinter, ganz gewiß dahinter, lag Córdoba, die Stadt der Kalifen und Mauren, die Stadt mit einer größeren Vergangenheit als ihrer Gegenwart, aber mitten in dieser Stadt lag das Haus, in dem sie geboren war. Und in dem sie ihr Kind zur Welt bringen würde.
    Sie schritt leichtfüßig aus und summte das Lied, ein sehr altes Lied, das ihr Vater besonders liebte.
    »Über silberne Hügel kehre ich heim, in die goldene Stadt meines Herzens, meines Ursprungs, meines Seins …«

27.
    Es war die Nacht vor der Exekution. Die sechs Männer, die am nächsten Morgen erschossen werden sollten, hockten auf ihren Pritschen, die einen apathisch, die anderen nachdenklich in sich versunken. Wieder andere sprangen manchmal auf, gingen mit langen Schritten in der Zelle auf und ab, Raubtiere, die nach Flucht ausspähen.
    Aber es gab keine Flucht, denn dies war das Carzanera, das sicherste Gefängnis so nahe der Front.
    »Wenn ich in meine Kindheit zurückkehre, dann kann ich auch wieder an Gott glauben«, sagte El Corazón, der neben Brenski auf einer der Pritschen hockte. »Und wenn ich an Gott glaube, dann kann ich mir vielleicht auch vorstellen, daß ich Mama wiedersehen werde.«
    Brenski blickte ihn schweigend an; El Corazóns Gesicht war hart verkantet in den grellen Licht- und Schattenbahnen, die durch den Scheinwerfer vor der Gittertür der Todeszelle erzeugt wurden. Hinter dem Scheinwerfer saßen, für die Gefangenen in dem blendenden Licht nicht erkennbar, die beiden bewaffneten Posten, die jede Stunde abgelöst wurden.
    Dafür haben sie noch Soldaten übrig, die Herren Republikaner, dachte Brenski spöttisch. Dafür haben sie uns zum Tode verurteilt, damit wir den Henkersknechten vom NKWD Arbeit geben und ihnen somit ihre Existenzberechtigung bescheinigen.
    Verurteilt zum Tode wegen Fahnenflucht und Landesverrats.
    So einfach konnte man sich das machen. Da fragte niemand danach, ob El Corazón zum Beispiel mit seiner Partisanentruppe ganze Bataillone der Nacionales gebunden und Hunderte von ihnen getötet hatte. Was zählte, war nur, daß er ohne seine Truppe aufgegriffen worden war. Also mußte er fahnenflüchtig sein.
    Und er, Brenski?
    Sollte man diesem Mann mit seiner zwielichtigen Persönlichkeit wirklich abnehmen, so hatte der Ankläger gesagt, ein russischer Offizier, der ein gutturales Spanisch sprach, daß er hinter der Front der Faschisten für uns weiterkämpfen wollte?
    Nein, so hatte der Russe seine eigene Frage beantwortet, und nein hatten auch die Richter des Kriegsgerichts gesagt, drei Polit-Offiziere oder Kommissare, wie sie genannt wurden, einer von ihnen ein Russe, einer ein Spanier und einer ein Deutscher.
    Der Deutsche war der Schlimmste gewesen, beflissen, seine Kollegen zur Linken noch zu übertreffen. Er hatte Brenski angeschrien: ›Du Verräter, du hast das spanische Volk und dein eigenes deutsches Volk verraten. Du hast unseren guten deutschen Namen in den Schmutz gezogen, man sollte dich anspucken!‹
    ›Tu es doch‹, hatte Brenski ruhig gesagt. ›Und warum bist du nicht an der Front?‹
    Der deutsche Kommissar war blaß geworden, aber er hatte weitergeschrien: ›Du Feigling, du hast die Ehre der Internationalen Brigaden besudelt!‹
    Sie zogen sich nicht einmal zur Beratung über das Urteil zurück. Sie tuschelten untereinander, und dann verkündeten sie sein Urteil – Tod durch Erschießen. Die abweichende Stimme kam von dem Deutschen; er wollte, daß man Brenski den Status des Soldaten entziehe und ihn aufhänge, eine Kugel sei für einen feigen Zivilisten zu schade.

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