Der Gesang von Liebe und Hass
rissen mächtige Krater in den Gefängnishof, eine ganze Mauer krachte zusammen, der Luftdruck preßte die stählernen Gittertüren aus ihren Fassungen.
»Los, raus!« schrie Brenski und riß El Corazón hoch, der immer noch mit diesem glücklichen, wissenden Lächeln auf dem Gesicht an der Wand saß.
Sie liefen den Flur entlang, stolperten die Treppe zum Hof hinunter, Verwundete schrien, Feuer schlug aus der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes, Blitze zuckten herunter, die Bordwaffen der Bomber. Die Flak auf dem Dach war längst erledigt, aber die Bomben pflügten das sicherste Gefängnis hinter der Front, diese Festung aus Beton und Stahl um wie die Flut die Sandburg eines Kindes am Strand von San Sebastián.
Durch den Lärm, den Qualm, das Feuer und die Schreie liefen sie zum Tor. Es bestand nicht mehr. Ein riesiges Loch klaffte dort, die Mauer war nur noch ein Haufen Schutt.
Die Posten lagen in Lachen ihres Blutes, neben ihnen ihre Gewehre und Maschinenpistolen.
Brenski raffte ein Gewehr auf, warf ein anderes El Corazón zu, riß dem einen Toten das Koppel mit den Munitionstaschen ab, dann waren sie über die Trümmerhalde hinweg, liefen über die Straße, im Hagel der Bomben, erreichten den Fuhrpark, wo die Lastwagen standen, Brenski sprang in einen der Fünftonner, schlug die Tür hinter sich zu, El Corazón war neben ihm, lachend, prustend, Brenski schloß, jetzt ganz ruhig und entschlossen, die Kabel der Zündung kurz, der Motor sprang an, Rückwärtsgang rein, weg, nur weg.
El Corazón lachte und prustete, und plötzlich fiel er zur Seite, Brenski trat aufs Gas, war durch den Bombenhagel hindurch, erreichte den Wald, hielt.
El Corazón lag in seinen Armen, Blut quoll ihm aus Mund und Nase und aus einer schrecklichen Wunde im Rücken.
»Siehst du«, flüsterte er, »ich habe doch recht behalten. Die verdammten Alemáños, sie haben uns befreit mit ihren Mördermaschinen. Siehst du, und ich sterbe von der Hand eines Alemán. Das ist mir lieber, als wenn es ein Landsmann getan hätte. Nun fahr schon, fahr nach Santi – nach Santi …«, er richtete sich noch einmal auf, wieder flog dieses Lächeln über sein Gesicht, und er rief: »Santiago!«, wie es die spanischen Ritter im Namen Christi so oft gerufen hatten, in all den Kriegen, die sie für Kastilien führten. Dann fiel er zurück, sein Atem kam mit einem tiefen Seufzer aus seinem Mund, und es war, als trage dieser Atem seine Seele mit sich fort.
Brenski begrub El Corazón im Wald von Pasavera. Er schnitzte ein Kreuz aus den Ästen einer Steineiche, steckte es an das Kopfende des flachen Grabes und ging dann davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er stieg in den Wagen, fuhr an.
Er wußte, er konnte den Wagen nicht lange benutzen, aber er nahm sich vor, so lange zu fahren, wie der Sprit im Tank reichte. Zu fahren in der einen Richtung – nach Norden und dann nach Westen, nach Santiago de Compostela.
28.
Als Maria Christina Córdoba erreichte, war es der Abend des neununddreißigsten Tages ihrer Entlassung aus dem Gefängnis.
Sie hatte nicht alle diese Tage auf dem Heimweg verbracht, sondern hatte hier und da auf Gehöften ausgeholfen und war auf diese Weise zu einem sauberen, dunkelbraunen Rock ohne Flicken und zu einer weißen Bluse gelangt, und sie trug wieder Sandalen an den Füßen.
Die Dämmerung umwand die weißen Mauern und Türme der Stadt mit grauen Schleiern, hier und da glichen die Gassen schwarzen Gräbern, nur matt blinkte unter der Brücke der von der sommerlichen Hitze versiegende Guadalquivir.
Als sie sich dem Stadtkern näherte, der Moschee und Kathedrale, in deren Schatten ihr Elternhaus lag, verlangsamten sich ihre Schritte.
Den ganzen Tag über hatte sie eine schmerzhafte, sie vorantreibende Sehnsucht nach ihren Eltern empfunden, aber nun, da sie ihnen schon so nahe war, begann sich in ihr eine Furcht auszubreiten, die selbst ihren Atem zu lähmen schien.
Wen würde sie noch zu Hause vorfinden, wie würde man sie empfangen und was tun, wenn sie erfuhren, was sie getan und gewollt und ertragen und erlitten hatte?
Sie betrat die alte Moschee, in der sie als Kind staunend und lauschend an der Hand ihres Vaters so oft umhergewandert war, während er ihr mit gedämpfter Stimme, die alles nur noch geheimnisvoller machte, vom Reich der Kalifen erzählte, die einst hier herrschten und die diesen Wald aus vielfarbenem Marmor, Jaspis und Porphyr erstehen ließen, zu Allahs Wohlgefallen. Manchmal hatte sie gefürchtet,
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