Der Gesang von Liebe und Hass
Vegas setzte sich wieder hin, als sei damit für ihn die Diskussion abgeschlossen.
»Ich kenne den Befehl aus Madrid – und ich werde selbst hinfahren und mir den General vorknöpfen, der es nicht für nötig gehalten hat, auch nur ein einziges Mal die Front zu besuchen. Der in Madrid den besten Wein säuft, die besten Schnitzel frißt und die schönsten Weiber vögelt – weil er der kleine, liebe, große Gott der gottlosen Roten ist.«
»Sie sprechen von unserem Vorgesetzten, Colonel!« Vegas drehte einen Bleistift in seinen Fingern, als wollte er ihn jeden Augenblick zerbrechen, so wie man früher den Stab über einen Verurteilten brach.
»Sí. Unser Vorgesetzter. Aber nicht mehr lange. Nicht mehr lange mein Vorgesetzter.«
Bienvenida stürmte hinaus und warf die Tür hinter sich zu.
Draußen hockten die Männer der vierten Kompanie, fast alles Deutsche, auf die er sich verlassen konnte. Er hatte zwei Lastwagen, seinen Kommandowagen und drei MG-Kräder.
Er ging zu den Fahrern der drei Panzerwagen hinüber, die zum Schutz des Stabsquartiers hierher verlegt worden waren.
»Sie hören ab sofort auf mein Kommando! Fertigmachen zur Abfahrt.«
Sie starrten ihn an. Er griff nach dem Revolver, den er in einem offenen Halfter an der Hüfte trug. Sie liefen zu ihren Wagen, sprangen hinein, schlossen die Luken bis auf die Kommandoluke. Dort standen jetzt die Panzerkommandeure und warteten auf seinen Befehl.
Er drehte sich um. »Jungs, es geht los … Wir machen gut, was andere falsch gemacht haben!« rief er auf deutsch.
Sie schrien auf. Es war ein Schrei der Freude und der Wut, denn sie alle wußten oder ahnten, welches Drama sich in Santa Maria de la Sierra abspielte.
»Aufsitzen!«
Sie liefen zu den Lastwagen, kletterten hinauf. Die Motoren brummten auf.
An seinem Ellenbogen erschien der junge Leutnant, der Adjutant von Major Vegas.
»Das – dürfen Sie nicht tun, Colonel!«
Oberst Bienvenida holte aus und schlug ihm mit der geballten Faust gegen das Kinn; er fiel wie ein Sack, lag regungslos.
Bienvenida ging zu seinem Kommandowagen, klopfte dem Fahrer auf die Schulter, nickte seinen beiden Tenentes zu.
»Los!«
Und sie fuhren.
Er kannte den Weg auswendig, denn zu oft hatte er am vergangenen Tag auf die Karte der Sierra de la Madre gestarrt. Sie erreichten schnell die Straße nach Casaroja, aber sie bogen nach links ab, auf das Kloster zu.
Sie langten am Bach der Drei Wege nach einer halben Stunde an, ohne Licht fahrend, langsam sich vortastend.
Als sie hielten, sahen sie hohe Flammen aus dem Kloster schlagen. Sie hörten das Hämmern von Maschinengewehren und das platschende Geräusch von gezündeten Handgranaten.
»Ausschwärmen!« befahl der Colonel den Panzern. Sie schoben sich langsam den Hang hinauf.
Die Internacionales der vierten Kompanie sprangen von den Lkw und liefen den Hang hinauf, der jetzt von den Flammen des Klosters erhellt war.
Und plötzlich schien es, als gingen Sterne neu auf, riesige, glänzende Leuchtkugeln – und über den Kampflärm hinweg hörte der Colonel das vertraute Geräusch, das mörderische Dröhnen schwerer Artillerie. Sie alle hatten die Nacionales unterschätzt. Keiner hatte hinten in diesem Frontabschnitt bei dem Ausblutungsplan berücksichtigt, daß die Nacionales auch schwere Artillerie heranführen könnten, und davor gab es kein Entkommen.
Bienvenida sprang aus dem Wagen, hetzte den Hang hinauf, seinen Leuten hinterher, dann ihnen voraus. Wenn sie das Kloster erreichten, ehe die Ari sich einschoß …
Aber da hörte er schon das teuflische Heulen der schweren Granaten, er warf sich hin und krallte sich in die Erde, wie alle anderen auch. Die Granateinschläge lagen perfekt. Die drei Panzer brannten in Sekundenschnelle lichterloh.
Und jetzt bekamen sie auch Granatwerferfeuer aus dem Kloster heraus.
Es war zu spät.
Alles war zu spät.
Die Granaten fielen, die Werfer röhrten, und dann kamen nur noch die Schreie und dann auch die nicht mehr.
Drei, vier Mann überlebten das Massaker. Der Oberst drang mit ihnen bis zu der Lücke in der Mauer vor, welche ihre eigene Ari am Nachmittag zuvor geschossen hatte.
Handgranaten krachten zwischen ihnen, und plötzlich war der Colonel allein in dem Wehrgang.
Er nahm Deckung in einer Mauernische.
Und dann hörte er die anderen Schreie.
Es waren die gellenden Schreie von Frauen, denen Gewalt angetan wird.
Er trat aus dem Schutz der Mauernische hervor und stand einem baumlangen Neger in der Uniform der
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