Der Gesang von Liebe und Hass
Dauerfeuer und gab sie Maria Christina.
»Ich krieche zu dem Tier hin«, flüsterte er. »Ich weiß nicht, ob eine Streife der Miliz oder der Nacionales den Schuß gehört hat und neugierig wird. Kannst du Vogelstimmen nachahmen?«
Sie nickte ernst.
Er lächelte schmal. »Gut, dann rufst du dreimal schnell hintereinander wie unser Begleitkäuzchen, wenn sich irgend etwas Ungewöhnliches regt. Nur im äußersten Notfall schießt du.«
Laß mich nicht allein, wollte sie sagen, aber sie wagte es nicht. Er glitt zu Boden, war schnell im hohen Gras verschwunden.
Auf der Lichtung regte sich nichts. Maria Christina hielt den Atem an, lauschte und schaute. Aber alles blieb ruhig.
Das war vielleicht meine letzte Chance, dachte Brenski, als er auf das erlegte Reh zukroch. In den nächsten Tagen darf ich uns nicht durch Ballerei verraten. Und wo findet man schon noch ein Rudel Rehe in diesen umkämpften Bergen?
Er kroch auf dem Bauch, und die Handgranaten drückten sich ihm ins Fleisch. Aber es war ein beruhigendes Gefühl, sie dabei zu haben. Sie konnten sich verteidigen, in den nächsten Tagen zumindest. Was danach kam, wußte er nicht, und er wollte auch nicht daran denken.
Ein totes Reh. Und vermutlich fünfzig oder sechzig Gefallene im Kloster. Und die, die noch sterben würden. Die Verwundeten, denen die Mauren die Kehle durchschnitten, fast wie im Ritual ihrer Vorväter, die Spanien unter der Fahne des Propheten erobert hatten, und die Nonnen, von denen keine am Leben bleiben würde.
Er zog seinen Dolch aus der Scheide, schnitt die Decke des Rehs auf, schälte das Fleisch aus. Es dauerte nicht lange, denn Brenski hatte das kleinste erlegt, einen einjährigen Bock. Als er mit dem Zerlegen fertig war, wickelte er alles fein säuberlich in die Decke des Bocks und kroch zum Waldrand zurück.
Er sah Maria Christinas besorgtes Gesicht hell im Licht des Mondes, und er strich flüchtig, beruhigend über ihre Wange. Dann machte er sich daran, mit seinem Klappspaten Eingeweide, Knochen und Haut zu vergraben, all das, was sie nicht essen konnten, außer der Decke, die er noch für ihren Fleischvorrat brauchte; er wollte so wenig Spuren wie möglich hinterlassen.
Er war gerade fertig damit, als Maria Christina ihn an der Schulter packte und zu Boden zwang.
Stimmen.
Laut und deutlich und unbekümmert waren von der anderen Seite der Lichtung her Stimmen zu hören, kehliges Geschwätz.
Marokkaner.
Sie preßten sich flach an den Erdboden. Brenski nahm zwei seiner Handgranaten und legte sie vor sich hin. Er hob vorsichtig den Kopf, und jetzt konnte er den Spähtrupp sehen. Es waren vier Mann, die auf die Lichtung traten, sich umsahen, als wären sie auf einem orientalischen Markt, sich dann gemütlich niederließen, keine zehn Meter von der Stelle entfernt, wo Maria Christina und er lagen. Sie zündeten sich Zigaretten an, tranken aus ihren Feldflaschen und unterhielten sich in dem kehligen maghrebinischen Arabisch, das Brenski manchmal in den Radiosendungen der Nacionales gehört hatte; offenbar Propagandasendungen, um die Angehörigen der maurischen Kolonialarmee anzustacheln. Er spürte, wie Maria Christina neben ihm zitterte. Beruhigend legte er seine Hand auf ihren Arm.
Einer der Marokkaner stand auf, kam auf sie zu. Erblieb zwei Schritte vor ihnen stehen, öffnete seine Hose und urinierte.
Der ungewaschene, verschwitzte, nach verdorbenem Hammelfett riechende Gestank des Arabers wurde zu ihnen getragen. Tropfen des Urins spritzten auf Brenskis Gesicht; er verharrte bewegungslos.
Der Araber knöpfte seine Hose zu und schlenderte zu den anderen zurück. Nach einer Weile erhoben sie sich und verschwanden in genau der Richtung, aus der sie gekommen waren. Doch diesmal taten sie es so leise, daß es war, als glitten Scherenschnitte über eine nur blaß erleuchtete Leinwand.
Maria Christina seufzte tief auf.
Beruhigend strich Brenski ihr übers Haar.
Sie drehte sich auf die Seite, wandte ihm ihr Gesicht zu.
Er streichelte die Linie ihres Kinns, ihre samtige Wange, ihren Nacken.
Er beugte sich vor. Seine Lippen fanden ihre Lippen. Sie zuckte zurück. Er umfing sie mit seinen Armen, küßte sie wieder. Ihre Lippen blieben geschlossen. Sie stöhnte leise. Sie versuchte sich freizumachen, und plötzlich spürte Brenski die Nässe auf seinen Wangen.
Sie weinte.
Er küßte ihr die Tränen weg, küßte sie noch einmal auf den Mund. Und diesmal erwiderte sie seinen Kuß. Es geschah mit einer Leidenschaft, die er noch nie
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