Der Gesang von Liebe und Hass
Mädchen kam herbeigerannt.
›Don Sebastian.‹ Sie knickste.
›Führe bitte Maria Christina in ihr Zimmer und kümmere dich um sie.‹
›Sí, Señor. Ist etwas Besonderes geschehen?‹
›Maria Christina, meine Tochter, ist heute zur Frau geworden‹, sagte er schnell, dann wandte er sich ebenso schnell ab und ging wieder hinaus; Maria Christina hörte ihn noch nach dem Stallburschen rufen, damit er sich um die Stute kümmere.
Und während Leonor ihr nach oben half und ein lauwarmes Bad für sie einließ und frische Kleider herauslegte, sagte sie immer wieder: ›Ich gratuliere auch, Señorita Maria Christina, ich gratuliere. Nun sind auch Sie eine Frau.‹
»Aber ich war nicht glücklich darüber, ganz und gar nicht. Ich war ein glückliches Kind gewesen, ich wäre es gern noch lange geblieben. Denn nun traten auch Veränderungen ein, von denen keiner gesprochen hatte.
Früher hatte ich abends so gern auf meines Vaters Schoß gesessen und zugehört, wenn er von seinen Reisen erzählte, die er als junger Mann in viele Länder unternommen hatte. Als ich es nun wieder tun wollte, sagte er sanft, aber bestimmt: ›Setz dich neben mich, dafür bist du nun zu groß.‹
Und es war mir, als gingen auch meine Brüder nun anders mit mir um. Sie behandelten mich nicht mehr wie ihresgleichen, sie ließen mich nicht mehr an ihren Streichen teilnehmen und waren manchmal fast so steif und respektvoll zu mir wie zu meiner Mutter und zu meinen Tanten.
Aber wenn du sagtest, daß ich keine Jungfrau mehr war«, sie sah Brenski fest mit ihren rauchgrauen Augen an, »so sage ich dir, ich habe noch bei keinem Mann gelegen vor dir. Damals, als ich mir selbst half, da werde ich mich wohl selbst entjungfert haben, wie man das nennt.«
Und sie nahm ihre Schultern zurück und hob ihr Kinn. »Aber wenn du wissen willst, ob ich schon einen Mann geliebt habe, dann sage ich ja. Es war vor drei Jahren, und es geschah in Paris, und er wollte nach Córdoba kommen und mich heiraten. Aber bevor er kommen konnte, brachte meine Mutter mich ins Kloster. Und aus dem Kloster hast du mich herausgeholt, Pablo Brenski. Nicht er.«
Er strich ihr übers Haar und über ihre glatte, runde Stirn. »Verzeih mir«, sagte er. »Wirst du mir verzeihen?«
»Wenn ich es kann, werde ich es tun«, sagte sie mit der Ernsthaftigkeit eines Kindes, aber auch eines Menschen, der einfach nicht lügen kann.
Brenski nahm ihre Hand, hielt sie fest.
»Ja, ich glaube dir«, sagte er.
»Man sagt, daß, wo Eifersucht sei, auch Liebe wäre?«
Er lachte leise. »Das kann schon sein. Ich bin in diesen Dingen auch nicht so erfahren.«
Maria Christina setzte sich auf. »Willst du mir weismachen, daß du noch keine Frau geliebt hast, nie verliebt warst, nie den Schmerz gespürt hast, wie ich ihn spürte, als ich ins Kloster mußte und Burton nie mehr wiedersehen durfte?«
»Nein, das will ich damit nicht sagen. Aber mit Frauen oder Mädchen habe ich kein großes Glück gehabt.« Er zuckte mit den Schultern. »Sicher, ich habe Liebschaften gehabt. Zuletzt noch in Barcelona. Sie hieß Carmen und war schwarzhaarig und hatte schwarze, flammende Augen und eine Figur …« Er lachte verlegen. »Alle Männer haben uns nachgeschaut. Ich habe sie geliebt in einem beschlagnahmten Hotel auf der Rambla de los Reyes, die sie in Rambla de la Solidaridad umgetauft haben. Ja, es waren oft wilde Liebschaften, aber ich habe nie gefunden, was ich suchte. Ich war auch zu sehr verstrickt in dem, was du den Sozialismus nennst. Aber ich habe nachgedacht in den letzten Tagen, wenn ich des Nachts Wache hatte. Es ist nicht der Sozialismus, sondern es ist seine gewaltsame Spielart, der Kommunismus, der Bolschewismus, oder wie immer du es nennen willst, der Sozialismus der Gewalt, der neue Ungleichheiten schafft, wo vorher andere Ungerechtigkeiten waren. Doch für mich waren, bis ich nach Spanien kam, Kommunismus und Sozialismus fast gleich. Ich sage fast, denn ich kenne die Geschichte Deutschlands zu gut, um nicht zu wissen, daß die Sozialdemokratie sich immer im Kampf gegen den Kommunismus befunden hat. Nur, im Exil, da hat man uns eingeredet, gerade dieser Zwist in der Arbeiterklasse habe dem Faschismus in Deutschland Tür und Tor geöffnet. Und wir haben es geschluckt, wir alle. Ja, ich hatte viel Zeit, um zu diskutieren und zu debattieren, aber um eine Frau zu finden, dazu hatte ich keine Zeit.«
Er schlug die Decke zurück, stand auf.
»Was tust du?« fragte sie.
»Wir können es nicht
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