Der Gesang von Liebe und Hass
den blauen Himmel.
Der General stieg aus dem Wagen, der ihn aus Burgos, der vorläufigen Hauptstadt der Nacionales, hergebracht hatte, und nahm die Ehrenbezeigung des Obersten vom 2. Kolonialregiment in der steifen Würde entgegen, die den Mann aus dem alten Adelsgeschlecht der Navarras auszeichnet.
Stille herrschte ringsum, nur unterbrochen vom leisen Wummern der Artillerie an der Front, die schon zehn Kilometer weiter östlich lag und sich auf das Mittelmeer zuschob, um das republikanische Spanien zwischen Barcelona und Valencia in zwei Teile zu spalten.
Die Legionäre der Ehrenwache trugen weiße Käppis und weiße Handschuhe, und sie präsentierten das Gewehr, als der General die Front der angetretenen Kampfgruppe der Fremdenlegion abschritt. Für die Marokkaner hatte er keinen Blick.
Zehn Schritte vor der Kompanie der Mauren stand Capitán Lorenzo Martéz. Er starrte über den General hinaus in das Nichts.
Der General nickte dem Obersten zu. Dieser verlas den Tagesbefehl der Nordarmee der Nacionales.
»Bei der Eroberung der Festung Santa Maria de la Sierra haben sich die Angehörigen der dritten Kompanie des zweiten Kolonialregiments schwerste Verstöße gegen die Disziplin zuschulden kommen lassen, die zu einer Meuterei geführt haben, indem diese Soldaten nicht mehr den Befehlen ihrer Offiziere gehorchten und unter der Zivilbevölkerung der Festung ein unsinniges Blutbad anrichteten. Die Rädelsführer sind deshalb summarisch zum Tode durch Erschießen verurteilt worden.«
Der Oberst räusperte sich und las dann die lange Liste der marokkanischen Namen. Es waren insgesamt 26. Dann fuhr er fort: »Capitán Lorenzo Martéz wird wegen Unfähigkeit vor dem Feind zum Schützen degradiert und dem Strafbataillon des Korps unterstellt.«
Der Oberst faltete den Befehl, steckte ihn in seine braunlederne Kartentasche.
»Tun Sie Ihre Pflicht, Colonel Delguado!« befahl der General, der ungerührt den Worten des Obersten gelauscht hatte.
Oberst Delguado trat auf Capitán Martéz zu, blieb dicht vor ihm stehen. Der Capitán, dessen Untergebene das Blutbad unter den Novizinnen angerichtet hatten, schaute immer noch auf einen fixierten Punkt am Himmel.
»Sie haben die Ehre Spaniens verletzt«, sagte der Oberst in der althergebrachten Tradition einer Degradierung.
»Sie sind aus der Gemeinschaft Ihrer Kameraden ausgestoßen und werden Ihre Taten dort verbüßen, wohin Sie das Gericht befohlen hat.«
Dann riß er dem Capitán die Schulterstücke mit den Rangabzeichen ab, riß ihm die Ordensschnalle von der Brust. Ein Legionär, der neben ihn getreten war, nahm sie in seine weißen Handschuhe und überbrachte sie dem General. Der General sagte: »Er hat die Ehre Spaniens befleckt, aber er kann nicht die Würde der Rangabzeichen und der Orden beflecken.« Er nahm die Schulterstücke und die Orden an sich, hielt sie fest mit einer Hand umklammert.
Der Oberst befahl: »Treten Sie zurück ins Glied, Schütze Martéz!«
Der degradierte Capitán blieb stehen. Ohne jemanden anzuschauen, sagte er laut: »Ich bitte, mir die Gnade zu gewähren, die Ehre wiederherstellen zu dürfen.«
Auch das war von altersher üblich.
Schweigend reichte ihm der Oberst seine Pistole. Lorenzo Martéz sah jetzt zum erstenmal voll den General an. Die Blicke der beiden Männer kreuzten sich wie Degen, aber der Blick des Generals war härter. Der Degradierte schaute zum Himmel wie in einem stummen Gebet, dann legte er die Pistole an die Schläfe und drückte ab. Der Oberst blieb stehen, steif, wie es das Zeremoniell befahl, obwohl ihm Blut, Knochensplitter und Gehirnteile auf die Uniformbluse spritzten.
Zwei Legionäre traten hinzu, hoben den Leichnam auf und schafften ihn zu den 26 Holzpfählen, an denen die verurteilten Marokkaner angebunden waren.
Und sie begannen jetzt zu schreien. Es war ein Heulen wie das Heulen der Schakale in den Schluchten des Atlas, und sie riefen Allah an und verfluchten die Christen, sie beteten zu Mohammed und verdammten die Weißen, mit denen alles Unglück über sie gekommen war.
»Peloton! Legt an!« Der Oberst hatte seinen Degen gehoben und senkte ihn nun.
»Gebt Feuer!«
Die Legionäre, scharf gedrillte Landsknechte aus aller Welt, schossen wie ein Mann. Das Heulen riß jäh ab. Stille senkte sich wieder auf das Tal, so wie sie vorher geherrscht hatte.
Als alles vorbei war, nahm der General den Obersten beiseite. Er winkte dem Fahrer seines Wagens, und dieser brachte eine silberne Flasche mit zwei
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