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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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magersten Schweinen versorgen müssen, weil ihr Pfarrer sie sonst auf ewig in die Hölle verdammte.«
    »Don Ernesto, der jeden Morgen zu uns kam, um die Messe zu lesen, hat uns nie von der Hölle gesprochen«, sagte Maria Christina. »Er war ein kleiner, rundlicher, freundlicher Mann. Ich möchte wissen, was aus ihm geworden ist. Ja, und manchmal brachten uns die Leute aus dem nahen Dorf auch Geschenke, ein fettes Huhn oder ein paar frische Eier, wenn sie ihre Bittschriften in der Wiege hinterlegten.«
    »Der Wiege?«
    Maria Christina lächelte. »So nannten wir Novizinnen ein halbrundes Holzbecken in der Pforte, das man von innen nach außen drehen konnte. Die Eier behielt die Mutter Superior, und manchmal konnten wir kleine Stückchen Eiweiß in der Gemüsesuppe entdecken, das war dann eine große Köstlichkeit für uns. Aber die Hühner gab sie Don Ernesto stets am nächsten Tag wieder mit.«
    »Dann wird er sie wohl mittags, kräftig mit Basilikum gewürzt und in Butter gebraten, verspeist haben.«
    »O nein, er gab die Hühner den Witwen und den Kranken im Dorf.«
    »Und was waren das für Bittschriften, die ihr in der Wiege fandet?«
    »Es waren Bitten um Gebete, wenn jemand im Sterben lag oder eine Frau kein Kind bekommen konnte oder jemand in tiefe Schulden geraten war.«
    »Und habt ihr dann gebetet?«
    » Ja .«
    Sie sah sich für eine Sekunde wieder endlose Stunden mit den anderen Novizinnen in der Kirche knien, der Rosenkranz glitt durch ihre Hände, und es hörte sich an wie leises Blätterrascheln, aber sie waren angewiesen, stumm zu beten, und manchmal war es Maria Christina nicht gelungen, das Stunde um Stunde durchzuhalten. Und ihre Gedanken waren gewandert, hatten sich nach der Lichtung im Korkeichenwald gedreht, wohin sie als junges Ding die verbotenen Bücher mitnahm, Anna Karenina las und die Madame Bovary, lang ausgestreckt im weichen, duftenden Gras, um sich den lautlosen Flügelschlag von Faltern und das Gezwitscher von Vögeln und manchmal auch den Warnschrei eines Eichelhähers. Sie hatte davon geträumt, eine Frau zu sein, und einmal hatte sie sich ganz ausgezogen und sich nackt in die wärmende Sonne gelegt und sich ausgemalt, die Wärme käme von streichelnden Männerhänden.
    Beim abendlichen Bad dann hatte Leonor sofort gesehen, was sie getan hatte, denn ihre Haut war überall leicht gebräunt, und sie hatte zuerst gekichert, aber dann war sie in Tränen ausgebrochen. ›Wissen Sie denn nicht, was Ihnen hätte passieren können? Irgendein Campesino hätte Sie so finden und Ihnen Gewalt antun können.‹ Und hochmütig hatte Maria Christina – ja, damals konnte sie hochmütig sein – das Mädchen angefahren: ›Mir tut niemand Gewalt an, ich tue nur, was ich will.‹ Und deswegen hatte Leonor sie bei ihrer Mutter verpetzt, und danach durfte sie nie mehr allein in den Korkeichenwald gehen. Und kein Campesino hatte ihr Gewalt angetan, aber ihre eigene Mutter, als sie sie ins Kloster brachte. Nur damals hatte sie das nicht begriffen, sie hatte es sogar für etwas ganz Natürliches gehalten.
    »Löse mich jetzt ab«, sagte Mama Elena, »meine Arme haben auch nicht mehr die Kraft wie früher.« Und da erst sah Maria Christina, daß die alte Frau schon beim Teigkneten war.
    »Natürlich, entschuldigen Sie.«
    »Ich bin für alle Mama Elena, jetzt auch für dich«, sagte die alte Frau, »und wenn der Krieg erst vorbei ist, werden alle Menschen in unserem Land Brüder und Schwestern sein. Also, sage nicht Sie zu mir, denn sonst müßte ich denken, du verstellst dich nur.«
    Maria Christina blickte von dem zähen, festen Teig auf, das Gesicht der alten Frau zeigte nun einen mürrischen Ausdruck.
    »Verzeih, Mama Elena, wenn ich etwas falsch mache«, sagte Maria Christina, »aber siehst du, ich habe soeben ein drittes Leben begonnen, als Brenski kam.«
    »Mit dem ersten Mann beginnt immer das dritte Leben«, sagte die alte Frau. »Bei mir war es genauso. Als ich wieder einmal geschlagen worden war, weil ich meiner Herrin die falsche Mantilla herausgelegt hatte, lief ich einfach weg. Diesmal blutete mein Rücken so stark, daß es sogar durch den dicken Stoff meines schwarzen Kleides drang. Ich lief einfach wie blind in die Stadt hinein, einfach wie blind. Und dann packte mich plötzlich jemand beim Arm und sagte: ›Sie kommen sofort mit in meine Praxis.‹ Er war ein hochgewachsener Mann mit grauen Augen wie du und wie ein Herr gekleidet. Er flößte mir Angst ein, aber das muß er gespürt

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