Der Gesang von Liebe und Hass
neben ihm schläft, es noch nicht einmal merkt.«
El Corazón schaute auf seine gepflegten Hände. Brenski sah, daß Maria Christina ihre Schultern nach vorne zog, so als friere sie.
»Es macht mich traurig, wenn ich an meine Hände denke«, sagte El Corazón. »Vor dem Krieg war ich Kirchenmaler. Ja, da staunst du. Ich habe in den Kirchen halb Kataloniens die alten Gemälde restauriert. Ich hatte sogar mein eigenes Atelier in Benacara, nicht weit von Pamplona, am Irrabarra, der im Sommer immer voll von Forellen war, die den Fluß hinaufschwammen, um am Fuß der Pyrenäen zu laichen. Man achtete mich, und ich hatte große Pläne. Doch da trat ich der Sozialistischen Partei bei, und schwuppdich, bekam ich keine Aufträge mehr von den Kirchen, und mein Atelier wurde auch boykottiert, so sagt man ja wohl.« El Corazón lächelte Brenski an. »Aber deshalb führe ich nicht Krieg, weil ich geschnitten wurde von den abergläubischen Pfaffen und Campesinos. Nein, ich hatte genug mit Ausländern zu tun, mit Amerikanern vor allem, die nach Pamplona kamen, weil sie das Buch des amerikanischen Dichters über die Fiesta und die Stierkämpfe dort gelesen hatten. Wie heißt er noch?«
»Ernest Hemingway«, sagte Brenski.
»Richtig, Hemingway. Er soll jetzt in Madrid im Hotel Floridita sitzen und Daiquiris trinken, wenn er nicht gerade vorne in den Schützengräben ist, wo es Blei gießt. Warum ein reicher Mann wie er so lebt, das begreife ich nicht. Sucht er den Tod?«
»Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, daß er ein paar verdammt gute Berichte über den Krieg geschrieben hat. Und in Amerika hat er zur Unterstützung der Republik aufgerufen.«
»Nun ja, aber ich bin abgekommen von meiner Frage. Nun, also etwas Besonderes muß jeder beisteuern, wenn er bei uns bleiben will. Was kannst du Besonderes, Alemán?«
Es war mit einemmal sehr still geworden auf der Lichtung vor dem Blockhaus. Maria Christina erblaßte, denn El Corazón fügte hinzu: »Wenn ihr beide nichts Besonderes könnt, dann müssen wir euch leider liquidieren.«
Und Brenski glaubte ihm jedes Wort.
Er griff hinter sich, unter die abgeschabte Lederjacke, die er im Blockhaus gefunden hatte. Er zog das Messer hervor und zeigte es El Corazón. »Weißt du, was das ist?«
El Corazón blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
»Nimm das Messer und sag mir, wozu es gemacht wurde.«
Mißtrauisch nahm El Corazón das Messer, wog es in seiner Hand. Seine Miene hellte sich auf. »Es ist ein Wurfmesser!«
»Genau!«
»Wir sind hier nicht im Zirkus, Alemán!«
Brenski nahm das Messer an sich, drehte sich blitzschnell halb um. Agostina schrie auf. Das Messer hatte ihr den Apfel aus der Hand geschlagen, ohne auch nur die Haltung ihrer Hand zu verändern. Das Messer steckte mitten im Apfel, der über den Boden der Lichtung kollerte und vor El Corazóns Füßen zur Ruhe kam.
»Madre de dios!« flüsterte El Corazón. »Das habe ich wirklich auch im Zirkus noch nicht gesehen.« Er blickte auf. »Kannst du das auch bei schlechter Beleuchtung, bei jedem Wetter?«
»Wie du es haben willst.«
Brenski spürte Maria Christinas Blick auf sich, aber er schaute nicht zu ihr hin.
»Wo hast du das gelernt?«
»Wie du sagtest, im Zirkus. Ich bin nach meiner Emigration aus Deutschland ein halbes Jahr lang mit einem kleinen Zirkus durch Frankreich gezogen. Es war eine harte, aber auch schöne Zeit. Ich dachte mir, ich müßte etwas Nützliches lernen. Löwen dressieren – das braucht man im Alltag kaum. Aber Messerwerfen – wie du siehst, hat es mir jetzt eben das Leben gerettet.«
»Das hat es«, sagte El Corazón. Dann wandte er sich Maria Christina zu. »Und was kannst du, Niña, meine Kleine?«
»Es reicht wohl für uns beide, was ich kann«, unterbrach Brenski ihn.
»No.« Das Wort kam knapp und kalt aus El Corazóns Mund. »Jeder für sich. Jeder muß etwas können.«
»Nicht sie! Was soll sie denn im Kloster gelernt haben?«
»Ich habe vorher etwas gelernt, bevor ich ins Kloster ging, Brenski«, sagte Maria Christina und erhob sich. »Mein Vater meinte, es wäre gut, wenn auch ein Mädchen aus gutem Hause etwas Sportliches täte.«
»Du bist ein weiblicher Matador, nicht wahr?« El Corazón lachte halb väterlich, halb verächtlich.
»Steh auf«, sagte Maria Christina zu ihm.
»Ich?« El Corazón stieß ungläubig mit dem Zeigefinger gegen seine Brust.
»Ja, du.«
Gespielt ächzend erhob sich El Corazón, sich den Staub von der Kleidung klopfend.
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