Der Gesang von Liebe und Hass
gesehen«, sagte Eduardo. »In einigen Stunden wird wieder Ruhe herrschen.«
El Corazón nickte, teilte aber die Wachen neu ein, so daß sie noch weiter vom Lager weg liegende Ausgucke besteigen konnten. Von einem Punkt im Süden, keine hundert Meter von der Blockhütte entfernt, konnte man tief und weit hinten die Straße nach Barcelona überblicken.
»Gib mir deine Glasaugen«, sagte das Frettchen, nachdem er eine große Feldflasche auf einen Zug geleert und sich schmatzend mit dem Handrücken den Mund abgewischt hatte.
El Corazón trennte sich nur ungern von seinen Ferngläsern, aber er gab dem Frettchen eines und Ramón das andere, der sich in den letzten Stunden ausgeschlafen und nun wieder seine Kräfte gefunden hatte. Für Brenski hatte dieser junge, dunkelhaarige Mann mit dem schmalen Gesicht und den geschmeidigen Bewegungen etwas Raubtierhaftes. Als die vier Posten verschwunden waren, fragte Brenski El Corazón: »Wo ist Ramón her?«
El Corazón rieb sich die Hände, als sei ihm mit einemmal kalt.
»Er stammt aus einer der ältesten Familien Kastiliens. Einer seiner Vorfahren war bei der Eroberung des Inkareiches durch Pizarro mit von der Partie. Und ein anderer hat ein halbes Hundert Inquisitionsverfahren geleitet. Sie alle endeten mit einem Autodafé für die armen Schweine, die sich Don Hermano vorgeknöpft hatte. Er war ein hohes Tier im Dominikanerorden. Du weißt schon, was das heißt.«
»Und weshalb ist Ramón bei euch?«
»Sein Vater muß etwas von dem fernen Onkel geerbt haben, der vor zweihundert Jahren so hilfreich für die Kirche arbeitete. Ramón mußte oft stundenlang in der Hauskapelle den Rosenkranz beten, und er mußte sich selbst geißeln, wenn er irgend etwas getan hatte, was nach dem Sinne von Don Elviro gegen die göttlichen Gesetze verstieß, wie er sie verstand. Als der Krieg ausbrach, hat Ramón seinen Vater mit seinem Rosenkranz erwürgt und ihn mit den Lederriemen des Flagellums, der Peitsche, am Kronleuchter in der Kapelle aufgehängt. Er hat dann seine beiden Schwestern und seine Mutter in der Kapelle mit dem Toten eingeschlossen und ihnen gedroht, sie zu erschießen, wenn sie innerhalb von vierundzwanzig Stunden auch nur einen Schritt über die Schwelle nach draußen tun würden.«
»Und wie ist er zu euch gekommen?«
»Wir fanden ihn auf einer Waldlichtung oberhalb Alcacete, das wir ja bald wiedersehen werden. Er lag auf den Knien, mit entblößtem Oberkörper – und betete.«
Brenski holte tief Luft. »Du hast ja einen ganz schönen Zirkus zusammengetrommelt.«
»Das ist noch gar nichts«, erklärte El Corazón, während er einen Ast zu einem spitzen Pflock zurechtschnitzte. »Das Frettchen, wie du ihn nennst und auch wir manchmal – er war einer der begehrtesten Porträtfotografen in Barcelona.«
»Das Frettchen?« fragte Brenski ungläubig.
»Sísí«, grinste El Corazón, »da bist du überrascht. Er hat die schönen Damen reicher Herren porträtiert, und nicht nur ihre hübschen Larven. Er hat eine Macke – er will ein Goya der Fotografie werden. Deshalb hat er auch alle seine Damen so hingelegt, auf eine Couch, auf weiße Damastkissen, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Die Beine natürlich züchtig zusammen, wenigstens auf den Bildern. Er wollte partout Ebenbilder der Doña Cayetana, der Herzogin von Alba schaffen, die mit Goya eine verbotene Liebschaft hatte. Sí, er war ein großer Mann mit der Kamera, unser Frettchen, und er hat heute noch ein Auge wie ein Adler. Aber eines Tages hat er eine Fotomontage von einem der reichen Ehemänner der schönen Damen gemacht, den Kopf genommen, darauf die Bockshörner aus dem Hexensabbat von Goya gesetzt und das Bild der satirischen Zeitschrift ›E1 Espejo‹, ›Der Spiegel‹, geschickt. Die haben es auch prompt veröffentlicht, ohne allerdings den Einsender zu nennen. Doch der reiche Mann hatte gute Beziehungen. Er ließ das Frettchen von drei Kerlen, die man in Italien Mafiosi nennen würde, in den Wald entführen und ihm die Finger beider Hände brechen.«
Brenski blickte überrascht auf. »Aber das Frettchen ist doch so gut mit der Maschinenpistole, hast du gesagt – und das sieht man auch, wie er die Waffen hält.«
El Corazón räusperte sich, zuckte die Schultern. »Man sollte es nicht glauben, aber auch in Spanien gibt es Ärzte, die manchmal Wunder vollbringen. Felicio hat fast ein Jahr im Centro de la Rehabilitación bei Valencia zugebracht – und seine Hände sind wieder wie vorher, oder
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