Der Gesang von Liebe und Hass
»Du willst mich doch nicht etwa aufs Kreuz legen?« fragte er, und alle lachten.
»Doch. Ich werde dich so aufs Kreuz legen, wie du schon so viele Weiber aufs Kreuz gelegt hast, wenn man dir glauben soll, El Corazón.«
Wieder lachten alle, El Corazón eingeschlossen.
Das nächste geschah so schnell, daß man es mit den Augen kaum verfolgen konnte. Maria Christina griff El Corazón bei seinem Hemd, zog ihn an sich, dann ein, zwei kleine Schritte nach rechts und nach links, eine Beinschere, ein Stoß – und El Corazón lag der Länge nach auf der Erde. Der massige Körper prallte so schwer auf, daß der Partisanenführer sekundenlang verwirrt blinzelte, ehe er sich langsam aufraffte und seine Knochen abtastete.
Diesmal lachte niemand. Sie alle schauten Maria Christina ungläubig an. Dann wurden ihre Mienen blank.
El Corazón faßte sich als erster. Er lachte, und es war keine Verlegenheit darin. »Legst du mich wieder aufs Kreuz, wenn ich dich mit einem keuschen Kuß jetzt bei uns willkommen heiße?«
»Nein«, lachte Maria Christina zurück. »Diesmal darfst du stehenbleiben.«
Und jetzt lachten sie alle wieder, nur Brenski nicht.
Später wies Mama Elena die Frauen an, hinter dem Blockhaus einen Ofen zu bauen.
Die Frauen murrten, eine sagte: »Aber ich bin so müde, wir sind die ganze Nacht unterwegs gewesen.« Es war Agostina, die Jüngste, ein Mädchen noch. Sie hatte ein schmales Gesicht, ihre Haut sah grau und müde unter der olivfarbenen Patina der Andalusierinnen aus.
»Ich gehe für dich«, sagte Maria Christina.
»Nein, du bleibst bei mir«, entschied Mama Elena. »Du hilfst mir beim Brotbacken. Das kannst du doch?«
»Im Kloster habe ich es gelernt.«
»Dachte ich's mir doch.«
In der großen, hölzernen Schüssel rührte Mama Elena ein wenig getrocknete Hefe in Wasser, setzte sie dann, mit einem Tuch bedeckt, in die Nähe der Kaminglut.
Auf den Tisch, den sie vorher säuberlich mit einem Tuch abgerieben hatte, häufte sie einen Berg grauen Mehls. Mit ihrer rechten Faust drückte sie eine Mulde hinein, in die später die aufgegangene Hefe gegeben würde.
»Das wird kein feines, weißes Brot, wie ihr es im Kloster gegessen habt.«
»Wir haben nie weißes Brot im Kloster gegessen, außer an den Festtagen. Sonst war es immer grau und trocken, so wie die Madre Superior es bestimmt hatte. Sie sagte, es sei eine Sünde, Essen um seines guten Geschmacks willen zu sich zu nehmen.«
Mama Elena schaute sie ungläubig an.
»Nun erzähle mir nur noch, ihr habt keinen Kuchen bekommen und keine gebackenen Täubchen und nicht das weiße Fleisch von gerösteten Kaninchen?«
»Bei uns gab es morgens ein Glas heißes Wasser mit Zucker, mittags eine Gemüsesuppe und abends ein Stück Brot und Obst dazu, zumeist einen Apfel. Eine unserer Schwestern ging auch aus Demut betteln, aber was die Bauern ihr schenkten, brachte sie den Tagelöhnern.«
»Lügst du mich auch nicht an?« Zum erstenmal war Mißtrauen in der Stimme und den Augen der alten Frau.
»Aber nein.« Maria Christina schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich? Genauso war es.«
»Uns hat man immer erzählt, daß die in den Klöstern völlern und prassen und sich am Meßwein besaufen.«
»Bei uns war das bestimmt nicht so. Nur im Dezember, da gab es zu Ehren des heiligen Johannes, des Lieblingsjüngers Jesu, für jede von uns einen kleinen Becher Johanniswein.«
Mama Elena setzte sich, während sie auf das Aufgehen der Hefe wartete, neben den Kamin auf die Bank.
»Aber wir haben ein Kloster überfallen, zugegeben, da lebten Mönche drin, und wir fanden da Vorratskammern, ich sage dir …« Sie spitzte die Lippen, daß sich rundherum ein Strahlenkranz von Fältchen bildete. »Wir fanden riesige Schinken und armdicke Würste und ein Faß Butter und andere mit Öl und Wein, Mehl und bestes Lagerobst und sogar ein halbes Hundert Flaschen mit Branntwein und Anisette. Wir haben monatelang von den Vorräten gelebt.«
»Und was habt ihr mit den Mönchen gemacht?«
»El Corazón hat sie laufen lassen.« Mama Elena kicherte und hob die Hand vor den Mund, um ihre Zahnlücken zu verbergen. »Aber vorher hat El Corazón sie geheißen, sich auszuziehen, damit die Dörfler sehen konnten, daß die auch nichts anderes als simple Männer waren. Und die Dörfler sind um sie herumgetanzt, es war ein riesiges Fest für sie. Denn sie hatten nicht nur den gewohnten Zins für ihr Pachtland zahlen, sondern auch das Kloster mit den fettesten Gänsen und den
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