Der Gesang von Liebe und Hass
Kirche und trug jeden Tag eine andere Mantilla. Sie waren alle schwarz und nur durch ihre Muster voneinander zu unterscheiden. Ich mußte ihr täglich die richtige Mantilla rauslegen, und wenn ich mich einmal irrte, schlug sie mich mit einer Gerte. Die Gerte mußte ihr mein eigener Bruder, der ihr als Gärtner diente, zurechtschneiden und anspitzen.«
»Das muß eine Verrückte gewesen sein. Eine richtige Sadistin!«
»Glaubst du?« Mama Elena stopfte die Enden ihrer Bluse wieder in ihren Rock. »Nein, mein Kind, ich könnte dir Dutzende solcher Geschichten erzählen. Aber eine genügt. Und deine Antworten haben mir bewiesen, daß du ein Herz hast.«
Sie wandte sich dem Kamin zu, gab von dem Teig in eine mit Öl gefettete Pfanne und verstreute die Kartoffelscheiben darüber. Sie würzte mit Salz und einer Handvoll Kräutern, und im Nu hatte sie acht große Fladen gebacken, die sie aufeinander schichtete, damit sie heiß blieben. Unter den bitteren Löwenzahn schnitt sie süße Zwiebeln; dieser Salat bekam keinen Tropfen Öl, dazu war es zu kostbar. Der Tee war auch aufgebrüht, und Mama Elena süßte ihn mit grobem, braunem Zucker, den Maria Christina zuerst für Sand hielt.
Dann ging Mama Elena nach draußen und rief ihre Gruppe herbei. Brenski und sechs der Männer kamen, und die Frauen. Zwei der Männer blieben als Wachen im Walde.
»Kommt und eßt«, sagte Mama Elena, und jeder bekam die gleiche Portion; für sich selbst nahm sie nur Tee.
»Bitte, nehmen Sie mein Stück Omelett«, sagte Maria Christina.
Mama Elena schüttelte den Kopf. »Iß ruhig. In meinem Alter braucht man nicht mehr viel Essen und auch nur noch wenig Schlaf.«
Nach dem Essen, das sie alle gemeinsam vor dem Blockhaus zu sich nahmen, während Felicio und Ramón Wache hielten, gut getarnt in zwei Baumwipfeln hockend, blickte El Corazón von seinem Eßgeschirr auf. Brenski schaute ihn erwartungsvoll an. Er ahnte, was kommen würde.
El Corazón strich sich mit beiden Händen über den Schnurrbart, kämmte dann mit den Fingern seiner linken Hand den Bart, der sich mächtig vorwölbte und dadurch wie aus der Requisitenkammer einer kleinstädtischen Bühne wirkte, pickte mit den Nägeln der rechten Hand, die erstaunlich sauber und gepflegt waren, in seinem lückenlosen, blitzend weißen Gebiß herum und sagte: »Amigo, wir haben gegessen, und wir haben heute nacht überlebt. Das ist nicht wenig in diesen finsteren Tagen. Wir sind eine solide Gruppe, mein erstes und mein zweites Armeekorps.« Er lächelte die Männer und die Frauen an, wobei sein Blick zärtlich erst bei Mama Elena und dann bei der sechzehnjährigen Agostina verweilte. Erst eine herrische Geste von Mama Elena ließ ihn erröten.
»Schau Agostina nicht so an, als würdest du sie in deinen Schlafsack nehmen wollen«, sagte Mama Elena. »Sie steht unter Naturschutz.«
Alle lachten, Mama Elena eingeschlossen. Nur Agostina wurde rot und schlug die Augen nieder. Wütend sagte sie: »Ich kämpfe für die Revolution und nicht für El Corazón. Wenn er in meinen Schlafsack kommt, werde ich ihm die Dinger abschneiden, auf die er so stolz ist.«
Wieder lachten alle, und diesmal wurde El Corazón wütend. »Du weißt ja gar nicht, wovon du sprichst. Mama Elena hat mir gesagt, du wärst eine hochkarätige Jungfrau. Wovon redest du also?«
»Du wolltest mit mir sprechen«, sagte Brenski.
Froh, dem Geplänkel zu entrinnen, sagte El Corazón: »Richtig, Muchacho. Ich wollte von dir und deiner Nonne reden.«
»Ich war keine Nonne! Ich war eine Novizin!« rief Maria Christina heftig.
El Corazón seufzte. »Heute scheine ich es mir ja mit allen Weibsleuten zu verderben. Aber zu deiner Frage, Muchacho. Schau, wie ich schon sagte, wir sind eine gute Truppe. Und Leute, die etwas wert sind, können wir gut gebrauchen. Aber von hohen Idealen oder all diesem Zeug lebt der Mensch nicht. Nicht der Partisan. Er lebt dadurch und davon, daß er etwas ganz Besonderes kann. Etwas, das für uns wertvoll ist. Schau, Ramón ist unser bester Dinamitero, der schleicht sich nachts in feindliche Stellungen oder Lager, legt eine Bombe dort, und bumm, nach einer oder nach zwei Stunden geht sie hoch, ganz wie Ramón es wünscht. Oder unser freches Männchen, Felicio, der trifft auf zweihundert Meter das Auge seines Feindes, mal links, mal rechts, ganz wie du es willst. Ich, ja ich kann einen Gegner mit einem Schlag meiner Faust töten oder ihn in zehn Sekunden erwürgen, so lautlos, daß der Camarada, der
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