Der Gesang von Liebe und Hass
werde es schon so einrichten, daß die Bomben in dem Moment hochgehen, wenn die ersten Wagen drüberfahren.«
»Wenn wir Glück haben, ist es ein Munitionszug«, flüsterte El Corazón.
»Wenn wir Glück haben, ist es ein Munitionszug mit Truppen«, erwiderte Ramón, und im Mondlicht lächelte er finster.
»Los, haut ab«, flüsterte El Corazón.
Die beiden verschwanden, trabten jetzt leichtfüßig über die freie Ebene, am Waldrand entlang. Es konnte nicht lange dauern, und die Posten der Regulares an der Brücke mußten sie sehen.
»Los, vorwärts!« befahl El Corazón seinen übrigen drei Leuten.
Sie schwärmten aus, gingen durch das Feld, auf dem die Saat nur kümmerlich stand, weil das heiße Frühjahr alles ausgedörrt hatte und weil die Männer fehlten, um die Äcker zu bestellen. Vor ihnen reckte sich ein gezacktes Geviert aus schwarzem Stahl in den Himmel. Undeutlich, und dann deutlicher, konnten sie Gestalten erkennen, ein Blockhaus zur Linken, von dem eine Flagge wehte. Der Fluß unter der Brücke gurgelte trotz der Trockenheit zornig vor sich hin.
Halb kriechend, halb gebückt, manchmal robbend, kamen sie bis auf Handgranatennähe heran.
Brenski spürte wieder diesen Kupfergeschmack im Mund, den Geschmack der Angst, wenn es ernst wurde. Sobald der erste Schuß gefallen war, ging auch das vorbei, aber in den Sekunden vorher schlug ihm das Herz bis in den Hals. Krieg, so dachte er, ist vom Menschen gemacht – aber nicht für den Menschen.
Der Zug war jetzt ganz nahe, kaum einen Kilometer entfernt. Er hatte wieder an Fahrt gewonnen, nachdem er die Steigung in der Kurve, ihren Blicken entzogen, überwunden hatte.
»Handgranaten frei!« flüsterte El Corazón.
Aber ehe sie noch dazu kamen, ihre Handgranaten zu schärfen, wuchsen vor ihnen – aus der Erde, wie es schien – Gestalten hoch, stürzten sich mit gutturalem Geschrei und aufgepflanztem Bajonett auf sie.
Marokkaner.
Einen Moment lang lief es Brenski eisig den Rücken herunter, dann war er auf, ließ seine Maschinenpistole losrattern und fegte drei der Araber vom Boden. El Corazón rang mit einem baumlangen Kolonialsoldaten, rechts und links kämpften sie mit Messern und Bajonetten. Geschossen wurde kaum. Eine weißglühende Lohe zischte in den Himmel und beleuchtete für einen langen Moment, in dem die Akteure des Dramas zu Stein zu werden schienen, das Gelände rings um die Brücke, dann hallte die Explosion herüber, die Lokomotive des Zuges bäumte sich auf, die Wagen sprangen aus den Schienen, und dann donnerten zwei, drei, schließlich vier noch heftigere Explosionen über das Feld.
Und dann hörten sie die Schreie. Es klang, als habe Ramón einen Teil aus Dantes Inferno genommen und es aus der Sphäre der Fantasie in die Wirklichkeit der Nacht im spanischen Bürgerkrieg geworfen.
Die Marokkaner schrien mit auf, sekundenlang vom Schrecken gelähmt.
Die Partisanen schossen in sie hinein, aber dann warfen die noch lebenden Marokkaner mit gebündelten Handgranaten.
»Zurück!« brüllte El Corazón, »zurück!«
Sie liefen zurück. Sie liefen um ihr Leben.
Als sie sich am Waldrand sammelten, wartete Ramón schon. Enrico war gefallen.
»Abzählen!« befahl El Corazón, obwohl jeder sie an einer Hand abzählen konnte. Sie waren noch zu fünft.
»Zu wenig, zu wenig«, murmelte El Corazón.
»Der Zug hatte Truppen und Munition an Bord. Schau, wie es brennt! Und wie sie schreien!« Ramón winkte begeistert zu dem glühenden Inferno hin, das er verursacht hatte.
»Halt deinen Mund!« fuhr El Corazón ihn an.
Und dann: »Los, wir müssen uns beeilen, oder die Affen aus dem Atlas holen uns noch ein.«
»Famos«, sagte Brenski.
»Was hast du?« fragte El Corazón. »Dein Gesicht ist ja ganz blutverschmiert.«
»Es ist nichts. Ein Bajonett hat mir einen neuen Scheitel gezogen.«
Aber El Corazón lachte nicht. Er bestand darauf, daß Brenski verbunden wurde, und dann gingen sie los. Es war mehr ein Lauf als ein Marsch, und sie dachten die ganze Zeit über: Hoffentlich ist den Frauen beim Blockhaus nicht ähnliches passiert wie uns.
20.
Sie fuhren aus dem Schlaf hoch und griffen zu den Waffen.
Aber es war schon zu spät.
Die Tür der Blockhütte krachte auf, und vier, fünf Nacionales drangen ein, die Gewehre im Anschlag, die blitzenden Bajonette auf die Frauen gerichtet. Das Licht einer Stablampe zuckte über die Gesichter und verharrte auf dem Maria Christinas.
»Sieh an«, sagte eine helle, ein wenig näselnde Stimme,
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