Der Gesang von Liebe und Hass
schleichen und seine Bomben legen, und wenn das Feuerwerk losgeht, dann sind die Nacionales so verwirrt, daß sie nicht einmal wissen, was passiert. Sie werden tot sein, ohne begriffen zu haben, was geschah.«
»Du sprichst so – kalt darüber.«
»Soll ich Rosenkränze für die beten, die mir zwei Söhne getötet haben?«
»Das wußte ich nicht, Mama Elena. Ich dachte, Fernando sei dein einziger Sohn.«
»Du weißt vieles nicht, und je weniger du weißt, desto besser – für den Fall, daß die Regulares dich einmal schnappen, oder auch die Republikaner. Du und dein Alemán, ihr steht nämlich zwischen den Fronten. Aber das wißt ihr ja selbst. Dein Alemán ist mit El Corazón auf Stoßtrupp, weil ihm nichts anderes übrigbleibt. In Wirklichkeit möchte er dich wohlbehütet zu deiner lieben Familie in Córdoba bringen.«
»Ist das so schlimm?«
»Nein, mein Kind. Ich verstehe euch. Aber ob El Corazón den Alemán versteht, das weiß ich nicht.«
Sie krochen in ihre Schlafsäcke.
»Gute Nacht, Mama Elena«, sagte Maria Christina. Hinten in der Ecke schlief Agostina schon, wie eine kleine Katze in sich zusammengerollt.
»Buenas noches, niña«, antwortete Mama Elena und blies die Kerze aus.
19.
Sie kamen den Hang herunter in das Tal. Schwarz ragten die Hügel um sie auf und warfen scharfe Schatten im Licht des vollen Mondes. Hart gezackt sahen sie den Kamm der Sierra vor sich, und am jenseitigen Hang, scheinbar sehr nahe, die silbern blinkende Spur der Eisenbahn.
Sie gingen schweigend, im Gänsemarsch, einer hinter dem anderen und nach Möglichkeit in dessen Fußstapfen tretend, um den Spähtrupps der Nacionales nach Anbruch des Tageslichts keinen Aufschluß darüber zu geben, wie viele Männer auf die Bahn zumarschiert waren.
Der Alemán ging hinter El Corazón, und dieser konnte hören, daß der Alemán ein gut trainierter Mann war, dem das Marschieren keine Schwierigkeiten bereitete. Er schritt genauso lautlos und unbeirrt dahin wie die Veteranen aus El Corazóns Truppe.
Ein guter Mann, dachte El Corazón. Aber ein Mann, auf den ich ein Auge haben muß. Er kämpft nicht für die Revolution. Nicht mehr. Er ist ein Enttäuschter, und das können die Schlimmsten sein. Denn sie denken nur noch an sich selbst oder an das Los derer, die ihnen am nächsten stehen. Und am nächsten steht ihm das Mädchen, die Nonne.
El Corazón lächelte.
Die Nonne.
Nein, eine Novizin war sie, wie man das in der Kirche nannte, deren Diener er auch einmal gewesen war.
El Corazón, der Meßdiener. Und es hatte ihm sogar Spaß gemacht, mit der Handschelle bei der Opferung und der heiligen Kommunion zu bimmeln, das Weihrauchfaß zu schwenken und dem Padre die beiden kleinen Silberkelche hinzuhalten, der eine mit Wein für das heilige Mahl gefüllt, der andere mit Wasser, damit sich vor der Verwandlung des Brotes zum Leib Christi der Padre die Hände waschen konnte. Und das war bei dem Padre in seinem Dorf auch wichtig gewesen, denn der betrieb nebenbei eine Schweinezucht, die ihm einen dicken Batzen Geld einbrachte, das er dann unter die Armen des Dorfes verteilte. Nein, El Corazón hatte keine schlechten Erfahrungen mit der Kirche gemacht. Und die kleinen Padres kamen ja selbst aus dem Volk. Aber die mächtigen Bischöfe und Kardinäle, die saßen auf den Schätzen, die sie seit dem Mittelalter angehäuft hatten, die bestimmten die Politik der Regierung vor der Revolution mit, die waren es, welche die Religion wie Opium unters Volk streuten.
In der Ferne rauschte es auf. El Corazón blieb auf der Stelle stehen und hob schnell die Hand. Die anderen blieben ebenfalls stehen, lautlos, wie sie es gelernt hatten.
Der Alemán legte seine Hand auf El Corazóns Schulter und wies mit dem Kopf nach rechts.
Zuerst sah El Corazón nichts, dann bemerkte er auf dem silbernen Schienenband einen schwarzen Wurm, der sich mühsam den Hang der Sierra hinaufwand und dann den Blicken entzog.
»Wir haben noch zehn Minuten«, flüsterte der Alemán.
Bis zur Bahn war es noch ein Kilometer. Eine einfache Sache, aber da war auch eine Brücke, und die Brücke würde scharf bewacht sein.
El Corazón winkte Ramón und seinen Dynamitträger, Enrico, heran.
»Wir greifen die Brücke an, um die Posten abzulenken«, flüsterte er. »Ihr lauft von hier aus direkt über den Weg am Waldrand entlang zum Schienenstrang. Wenn wir Glück haben, geht der Zug mit den Minen hoch.«
»Sprich nicht von Glück«, flüsterte Ramón, »das bringt Unglück. Ich
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