Der Geschmack von Glück (German Edition)
einen rauen Strand. Er redete von dem Ort, als sei er schon oft da gewesen, und tatsächlich hatte er in letzter Zeit so oft daran gedacht, dass es ihm fast selbst so vorkam.
Aber es brauchte eine Menge Überredungskunst, und am Ende musste Graham sich so benehmen, wie es anscheinend ohnehin alle von ihm erwarteten: Er schmollte, war überempfindlich und herablassend. Er drohte und wedelte wütend mit dem Handy. Zu seiner Überraschung hatte es funktioniert. Neue Scouts wurden ausgesandt und berichteten, das Städtchen sei in der Tat perfekt. Drehgenehmigungen wurden eingeholt, Verträge unterzeichnet. Das zweite Drehteam fuhr schon voraus, um Bildmaterial zu drehen. Graham und die anderen Schauspieler wurden für vier Wochen im Henley Inn einquartiert, das nur 500 Meter vom einzigen Süßigkeitenladen des Ortes entfernt lag.
Auch wenn ihm nicht ständig bewusst gewesen wäre, dass sein Liebesleben jederzeit für Klatsch und Gerüchte ausgeschlachtet werden könnte, hätte Graham dennoch niemandem den wahren Grund verraten, warum er unbedingt nach Henley wollte. Im besten Fall hätte er ein bisschen verrückt gewirkt. Und im schlimmsten wie ein Stalker.
Doch in Wahrheit war er ziemlich sicher, dass er sich in ein Mädchen verliebt hatte, dass er noch nie gesehen hatte, ja, dessen Namen er nicht einmal kannte.
Ihm war klar, das war lächerlich. Hätte ihm jemand ein Drehbuch mit dieser Geschichte in die Hand gedrückt, hätte er geantwortet, das sei doch vollkommen unrealistisch.
Aber das änderte nichts an seinen Gefühlen.
Es wäre womöglich einfacher gewesen, wenn er sie gefragt hätte, ob sie ihn sehen wolle. Aber wenn sie ganz anders empfand als er? Wenn sie nun nicht mehr wollte, als mit ihm Mails zu tauschen? Auf diese Weise hatte er wenigstens eine Ausrede für seine Anwesenheit hier.
Irgendwo mussten sie den Film ja drehen.
Grahams erste Szenen würden erst am nächsten Tag gedreht werden, und als er Harry Fenton, seinem immer kahler werdenden Manager, erzählte, er wolle schon früher hinfahren, hatte der Ältere ihn verwirrt angeschaut.
»Du kommst doch sonst nie früher als nötig«, sagte er, aber Graham zuckte nur die Achseln.
»Ich soll doch mein ganzes Leben in dem Ort verbracht haben, darum halte ich es für wichtig, dort so richtig in die Kleinstadtatmosphäre einzutauchen.« Er gab wieder, was er mal von seinem großspurigen Filmpartner bei der Top-Hat -Trilogie gehört hatte. Er merkte, dass er den »Graham Larkin« schon genauso gut spielen konnte wie seine anderen Rollen.
Jetzt verlangsamte er seinen Schritt ein wenig, als er sich der Eisdiele näherte. Er spürte die Fotografen irgendwo hinter sich lauern, still und heimlich wie ein Schwarm Haie. Die Sonne brannte ihm heiß auf die Schultern, das Hemd klebte ihm schon am Rücken. Er ging an einem schlanken Mädchen mit langen roten Haaren vorbei, und als er den Blick hob und sie anschaute, lag in ihren Augen eine stumme Ablehnung. Graham war so darauf versessen gewesen, nach Henley zu kommen, dass ihm nie in den Sinn gekommen wäre, Henley könnte womöglich nicht auf ihn gewartet haben. Er schaute noch einmal zu ihr hin, und diesmal lächelte sie, doch es wirkte so, als mustere sie ihn und komme dabei zu einer Einschätzung, die er vielleicht nicht unbedingt erfahren wollte.
Aber jetzt war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Er blieb vor dem Laden stehen und blinzelte in die Schaufensterscheibe, in der sich jedoch nur Sonnenlicht brach. Er wollte unbedingt prüfen, wie er aussah, obwohl er sehr gut wusste, dass es darauf nicht ankommen sollte. Seit langer Zeit war ihm niemand mehr so wichtig gewesen. Der Ruhm war wie ein Zauberspruch, den er immer anwenden konnte: Er konnte dämliche oder langweilige Sachen oder auch überhaupt nichts sagen, die Mädchen standen trotzdem auf ihn. Doch anstatt ihm Selbstvertrauen zu schenken, verunsicherte ihn diese Erkenntnis eher, weil er so nie wusste, was sie wirklich für ihn empfanden.
Bis jetzt. Wer dieses Mädchen auch sein mochte, Graham war sich ziemlich sicher, dass sie ihn mochte. Und zwar nicht Graham Larkin, den Filmstar, sondern einfach GDL824.
Und er mochte sie auch.
Als er die Tür aufstieß, ließ ihn das Bimmeln der winzigen Glocke zusammenzucken, und er zog den Kopf ein, so dass sein Gesicht unter dem Mützenschirm verborgen blieb. Es war kein weiterer Kunde im Laden, und er hielt den Blick auf die schwarz-weißen Bodenfliesen gerichtet, bis er fast am Tresen stand.
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