Der Geschmack von Glück (German Edition)
gedreht hatte, welcher zur allgemeinen Überraschung für einen Oscar nominiert worden war – lief mit einem Tross Produktionsassistenten im Schlepptau auf und ab. Bald würde Graham rausgerufen werden, um auf der Straße Olivia hinterherzulaufen, sie in den Arm zu nehmen und leidenschaftlich zu küssen. Und das nicht nur einmal, sondern wahrscheinlich eher achtzehn oder zwanzig Mal.
»Es gibt hier schon andere Mädchen, weißt du?«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Ist ja nicht so, dass es bloß in New York oder L.A. interessante Menschen gibt.«
»Klar«, sagte Harry. »Sie war bestimmt ganz reizend.«
Graham lächelte bei der Erinnerung an Ellies Gesicht, als sie ihn im Licht der Verandalampe zum ersten Mal gesehen hatte, doch dann ging ihm auf, dass Harry Quinn meinte. Ehe er etwas entgegnen konnte, klopfte es an der Tür, und beide drehten sich um.
»Noch fünf Minuten, Mr Larkin«, rief jemand, und Graham holte tief Luft. Egal, wie oft er das schon gemacht hatte, wie gut er vorbereitet war, in diesem Augenblick wurde ihm immer flau im Magen. Er musste sich inzwischen sehr anstrengen, einfach er selbst zu sein; es kam nicht mehr von allein. In gewisser Weise musste er dafür mehr schauspielern als für seine neueste Rolle, einen Teenager, dessen Vater gerade bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen war und der komplizierte Gefühle für das Mädchen hegte, das dabei Zeuge geworden war.
Ohne ein weiteres Wort schob Graham sich an Harry vorbei aus der Wohnwagentür, atmete die stickige Luft ein und hastete die Stufen hinab, wo schon ein Produktionsassistent mit Kopfhörer und Klemmbrett wartete, um ihn die vier Meter bis zu seinem Startpunkt zu begleiten, als könne er sich auf dem Weg dorthin verlaufen. Graham hatte sich daran gewöhnt: Manchmal wurde man wie ein Halbgott behandelt, manchmal wie ein Vierjähriger.
Sie hatten heute schon geprobt, und jetzt begrüßte ihn der Regisseur nur mit ein paar Anweisungen in letzter Minute. Sie drehten die Szenen in falscher Reihenfolge, und die heutige gehörte zum Ende des Films, als seine Figur endlich aus dem Gefühlswirrwarr auftauchte und erkannte, wer schon die ganze Zeit über die wichtigste Person für ihn gewesen war. Graham blickte hoch und sah ebendiese Person näher kommen, mit nichts als einem absurd kurzen Jeans-Mini und einem roten Bikinioberteil bekleidet.
»Hey«, sagte Olivia mit leichtem Grinsen. Ihre blonden Haare waren zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden, für dessen lässig-sorglosen Look die Haarstylisten wahrscheinlich Stunden gebraucht hatten, und ihr Make-up sollte so aussehen, als trüge sie keins. »Ich höre, du hast dich schon im Ort umgesehen.«
»Bloß die örtliche Küche getestet«, sagte er und versuchte, nicht zu bissig zu klingen. Olivia sah zweifellos großartig aus, aber irgendwas an ihr nervte Graham gewaltig. Sie war schon seit Jahren Teil des Hollywood-Kosmos – ihre Karriere hatte als frühreifes Kind in einer erfolgreichen Ärzteserie begonnen –, und ehrlich gesagt merkte man das auch. Kennengelernt hatte er sie vor zwei Jahren auf der Premierenparty zu einem ihrer Filme, und als man sie einander vorstellte, hatte sie ihn kaum eines Blickes gewürdigt, nur hochmütig auf ihn herabgeschaut, während sie sich eine Zigarette ansteckte, um sich dann jemand Berühmterem zuzuwenden. Damals war sein erster Top-Hat -Film noch nicht in den Kinos, und so, wie sie sich jetzt benahm, erinnerte sie sich wahrscheinlich gar nicht an diesen Abend. Aber nach allem, was er über sie gehört hatte, erinnerte Olivia sich ohnehin nicht an viele Abende.
Die gesamte Hauptstraße war für die Dreharbeiten gesperrt worden. Am anderen Ende der Straße konnte Graham den Eisladen erkennen und fragte sich, ob Ellie wohl dort war. Zu beiden Seiten der Straße drängten sich Menschen hinter Absperrgittern, hielten Kameras bereit, fotografierten und nahmen Videos auf, während einige breitschultrige Security-Kerle vor ihnen patrouillierten.
Graham schüttelte seine Hände aus und räusperte sich. Er drehte gern Außenaufnahmen – die Studiobeleuchtung war nie so gut wie echtes Sonnenlicht –, aber heute, vor Publikum, war er nervös. Als er mit dem Filmen anfing, störte es ihn sehr, dass die Szenen so oft in willkürlicher Reihenfolge gedreht wurden, weil es ihm unmöglich schien, auf den großen ersten Kuss hinzuarbeiten, wenn die vielen tastenden Schritte dorthin noch nicht getan worden waren. So lief das im richtigen Leben
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