Der Geschmack von Glück (German Edition)
Eisdiele war heute offiziell geschlossen, allerdings hatte man riesige Eisbehälter fürs Fest gespendet, die jetzt neben den anderen Leckereien gekühlt draußen auf den Klapptischen standen. Drinnen war es kühl und still, die Sonne fiel schräg durch die Fenster und stanzte rechteckige Felder auf die Bodenfliesen. Ellie folgte Quinn nach hinten; im Lager stand ein kleiner Tisch mit ein paar Klappstühlen darum, umgeben von aufgestapelten Pappkartons – wie ein angefangenes Iglu – voller Streusel und Soßen und verschiedener Süßigkeiten.
Sie setzten sich, und Ellie stützte sich vor Erschöpfung schwer auf den Tisch. »Sie haben meinen Namen herausgefunden?«, fragte sie.
»Ja.« Quinn nickte sachlich, und Ellie war ungeheuer erleichtert, weil sie es von ihrer Freundin erfuhr. Quinn war immer gnadenlos ehrlich gewesen; das schätzte Ellie besonders an ihr. Selbst jetzt, nachdem sie wochenlang nicht miteinander geredet hatten, und obwohl Quinn sicher gern tausend Fragen gestellt und Sachen gesagt hätte, wusste sie instinktiv, welche Informationen Ellie am meisten interessieren würden, und ihre Einschätzung der Lage war beinahe geschäftsmäßig.
»Dein Vater wird auch erwähnt.« In ihrem Blick lag großes Verständnis, obwohl sie es unmöglich wirklich verstehen konnte. Als Kind hatte Ellie Quinn erzählt, ihre Eltern seien geschieden, weil das irgendwie besser klang als die Wahrheit, selbst wenn sie die hätte preisgeben dürfen. »Der ist aus dem Spiel«, hatte sie die Worte nachgeplappert, die ihre Mutter zu einer Frau aus dem Ort im Café gesagt hatte. Und so einfach war er dann auch zwischen Ellie und Quinn aus dem Spiel gewesen.
Ellie erfuhr nie, ob Quinns Mutter ihre rasend neugierige Tochter ermahnt hatte, nicht zu viele Fragen zu stellen, oder ob Quinn schon als kleines Kind jedes Mal ein Warnsignal in Ellies Augen sah, wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kamen. Jedenfalls hatten sie Ellies Vater die letzten zwölf Jahre umschifft, und jetzt, da Quinn mit Recht wütend oder zumindest verstört wegen dieses in ihrer Freundschaft klaffenden Abgrunds sein könnte, strahlte sie stattdessen einfach nur Ruhe aus. Sie hatten sich schon aus viel nichtigeren Anlässen gestritten, und Ellie hätte verstanden, wenn Quinn sich über das Schweigen maßlos geärgert hätte. Aber das war das Tolle an besten Freundinnen: Die ganzen kleinen Streitereien und Vorwürfe waren vergessen, sobald etwas Wichtiges geschah, und dafür war Ellie dankbar.
»Es ist gar nicht so schlimm, wie du wahrscheinlich denkst«, sagte Quinn jetzt. »Echt nicht.«
Doch Ellie war bei der Erwähnung ihres Vaters das Herz in die Hose gerutscht. Sie holte tief Luft und versuchte, die zitternden Hände ruhig zu halten. Sie hatte gewusst, das würde irgendwann passieren, seit sie heute Morgen den ersten Artikel gelesen hatte, seit sie gestern Abend gesehen hatte, wie Grahams Faust den Fotografen traf, vielleicht sogar, seit er am ersten Abend ihre Verandastufen hinaufgestiegen war. Aber sie war immer noch nicht richtig darauf vorbereitet.
Sie dachte an ihren Vater mit seinem perfekten Polohemd und mit seinem strahlenden Lächeln, wie sich seine Hand angefühlt hatte, als er ihre schüttelte, und plötzlich war sie froh, dass ihre Nerven sie im Stich gelassen hatten. Es war besser so. Immerhin konnte er nicht wütend auf sie sein, wenn er sie gar nicht kannte. Wäre heute Morgen alles nach Plan verlaufen – hätte sie an seine Tür geklopft und er sie hereingelassen, wäre sie nicht bloß mit einem Scheck, sondern auch mit einer Telefonnummer, einer Erinnerung, vielleicht sogar einem Versprechen auf mehr wieder gegangen –, dann hätte sich jetzt alles wieder in Luft aufgelöst wie eine zarte Seifenblase. Mehr hätte es dafür nicht gebraucht: den Augenblick, wo aus dem unbekannten Mädchen ganz plötzlich ein bekanntes wird.
Vielleicht würde er später – heute oder morgen oder übermorgen – eins der Fotos ansehen, mit denen die Artikel zweifellos bebildert waren, und in seinem Kopf würde es klick machen, ein schwaches Wiedererkennen. Er würde über dem Gesicht grübeln, dem Gesicht der Tochter, nach der er nie gesucht hatte, würde sich fragen, ob es ihm bekannt vorkam, weil sie sein Fleisch und Blut war, oder aus einem anderen Grund. Er würde versuchen, die vielen lächelnden Gesichter aufzurufen, die er gesehen, und die Hände, die er geschüttelt hatte, und darunter das Mädchen mit den roten Haaren und den
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