Der Geschmack von Glück (German Edition)
Sommersprossen suchen, das ihn auf dem Fest mit so wortloser Dringlichkeit angestarrt hatte, damit er begriff, die Verbindung herstellte, die Augen aufmachte. Aber selbst dann würde es ihm wahrscheinlich nicht gelingen.
»Ich habe den ganzen Tag versucht, dich anzurufen«, sagte Quinn und riss eine der Kisten auf, die um sie herumstanden. Sie rümpfte die Nase über den Inhalt und machte die nächste auf, aus der sie eine Tüte Toffee zog. »Als ich die Nachrichten sah, wollte ich sichergehen, dass du es auch weißt. Wo warst du überhaupt?«
»Mein Telefon ist … kaputt«, murmelte Ellie und nahm ein Stück Toffee von ihr, das sie dann zwischen den Fingern drehte. »Meine Mutter. Ist sie …?« Sie wollte wütend sagen, oder ärgerlich oder aufgebracht , aber sie war überzeugt, das alles war ihre Mutter ohnehin, und sie brachte den Satz nicht zu Ende. Ihr Magen sackte in die Kniekehlen, wenn sie sich vorstellte, wie ihre Mutter eine Zeitung aufschlug, ihr Mailprogramm öffnete oder einfach mit jemandem auf der Straße ins Gespräch kam. Vielleicht fragten die Leute nach ihrer Tochter oder nach dem Mann, mit dem sie eine Affäre gehabt hatte, oder vielleicht auch nur nach Graham und den Fotografen, nach dem wahrscheinlich größten Skandal, den dieses verschlafene Nest je erlebt hatte. Es gab so viele Gründe für ihre Mutter, wütend zu sein, dass man sich kaum auf einen konzentrieren konnte.
»Ich glaube, sie macht sich vor allem Sorgen um dich«, sagte Quinn. »Habe ich auch.«
Ellie hatte die Augen geschlossen, aber jetzt sah sie wieder hoch. »Danke«, sagte sie und biss sich auf die Lippen. Ihr Nacken entspannte sich ein wenig. Bei den vielen Dingen, die sie mit sich herumschleppte – die Nachrichten und was sie für ihre Mutter bedeuteten; der höfliche Handschlag mit einem Vater, den sie nie kennenlernen würde; die Enttäuschung über den verpassten Harvard-Kurs; der drohende, unvermeidliche Abschied von Graham (allein der Gedanke daran schnürte ihr die Luft ab und presste ihr das Herz zusammen) –, war es erleichternd, wenn wenigstens eine Last von ihren Schultern fiel. Was diesen Sommer zwischen Quinn und ihr gestanden hatte – verletzte Gefühle, Eifersucht, Missverständnisse –, schien jetzt alles vergessen. Ihre Freundschaft war ein bisschen wie dieses Toffee: Man konnte sie dehnen und verdrehen und total zerknautschen, aber zerbrechen ließ sie sich nicht so leicht.
»Es tut mir leid, dass ich dir nie von meinem Vater erzählt habe«, sagte Ellie. »Ich wollte ja. Du glaubst gar nicht, wie sehr. Aber Mom hat immer befürchtet, dass genau das hier passiert.«
Quinn legte den Kopf schräg. »Was denn?«
»Dass es öffentlich wird und alle die Wahrheit erfahren«, erklärte sie. »Wer wir sind. Wer er ist. Woher wir kommen.«
»Ach komm, Ellie.« Quinn lächelte schwach. »Das interessiert hier doch keinen Menschen. Wie lange lebst du jetzt hier? Meinst du, wer dich kennt, gibt irgendwas auf einen Skandal von vor hundert Jahren?«
»Jetzt bestimmt«, beharrte Ellie. »Du hast doch gesagt, es ist alles raus. Diese ganzen Artikel …«
Quinn lachte. »Das ist doch praktisch eine Fußnote«, sagte sie. »Echt. Alle interessieren sich nur für Graham.«
Ellie starrte sie an. »Was?«
»Meinst du, die Leute wollen lieber was über Paul Whitmans Tochter als über Graham Larkins Freundin lesen?«
»Ich bin nicht seine –«
»Oh doch, bist du.« Quinn warf sich ein Stück Toffee in den Mund. »Glaub’s mir.«
Ellie lehnte sich zurück und schüttelte verwundert den Kopf. Ihr Vater hatte immer eine so große Rolle in ihrem Leben gespielt: Obwohl er abwesend war, war er doch ständig präsent. Die Vorstellung, dass Graham – den sie gerade erst kennengelernt hatte – ihn komplett in den Schatten stellte, war geradezu unfassbar. Sie hatte die ganze Zeit gedacht, es wäre gerade Grahams Ruhm, der ihr Leben aus dem Gleichgewicht bringen würde. Dabei hatte er die ganze Situation dadurch gerettet, dass er war, wer er war. Den meisten Menschen auf der Welt war er viel wichtiger als Ellies Vater. Und sie brauchte nur einen Augenblick, um leicht schockiert festzustellen, dass er ihr auch wichtiger war.
Quinn schoss ihr ein weiteres Stück Toffee über den Tisch, und Ellie hielt es mit der Hand auf. »Meine Mutter bringt mich trotzdem um.«
»Kann schon sein«, sagte Quinn fröhlich, schon wieder ganz die Alte. »Aber wenn sie damit fertig ist, wollen wir uns dann nicht ein paar
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