Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
Familie herrscht, passend zum Maiwetter, wieder Sonnenschein. So, wie meine Mutter es gern hat. Ich esse meine Nudeln auf, und Mama zieht sich einen zweiten Stuhl heran, um die Beine darauf zu legen und sich nach den Mühen ihres Hausfrauenvormittags zu entspannen. Flüchtig registriere ich, dass sie weiße Socken zu Trekkingsandalen trägt, zu so etwas ist auch nur meine Mutter imstande, mit ihrem völligen Mangel an Eitelkeit. Ich betrachte sie, wie sie da sitzt, das Gesicht mit den geschlossenen Augen der Sonne zugewandt. Das helle Mittagslicht bringt jede einzelne ihrer Falten erbarmungslos zur Geltung, fängt sich in ihrem ergrauenden Haar, und mir schießt durch den Kopf, dass sie ziemlich alt aussieht für ihre fünfundvierzig Jahre. Der Gedanke versetzt mir einen Stich. Früher fand ich meine Mutter einfach nur schön.
Als ich aufstehe und die Teller abräume, öffnet sie ein Auge.
»Bevor du in dein Zimmer gehst, Sophie … Papa erzählen wir lieber nichts von dem, was du vorhin gesagt hast, ja? Wir wollen ihn nicht unnötig beunruhigen. Es ist ja vorbei.«
Wenn du wüsstest,denke ich, doch ich nicke. Für heute hatte ich genug Stress wegen dieses verdammten Himmelblaus. Wenn Mama glauben will, dass es vorbei ist, dann soll sie das ruhig glauben.
Auf eine Lüge mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an.
Drei
Das Wetter bleibt warm und schön, und am Sonntag gehen Lena und ich endlich ins Freibad. Als wir an der Kasse stehen, sehen wir Vivian, die aus ihrem weißen Mini steigt und in bauchfreiem Top, Hotpants und High Heels auf uns zustöckelt.
»Gott sei Dank hat sie das Auto«, lästere ich. »Auf den Schuhen hätte sie die fünfhundert Meter von ihrem Haus bis hierher niemals geschafft.«
»Genau das richtige Outfit, um am Dorfrand schwimmen zu gehen«, ätzt Lena.
Wir neigen sonst nicht dazu, schlecht über andere zu reden. Aber keine Regel ohne Ausnahme – bei Oberzicke Vivian und Bernice können wir nicht anders.
Leon aus der 11 b, dem Lena erlaubt hat, uns zu begleiten, lacht. Er sieht süß aus mit seinen Grübchen, den blitzenden grünen Augen und dem wuscheligen Haar. Ich kann verstehen, dass Lena auf ihn steht, und hoffe nur, dass er es ernst mit ihr meint. Den ganzen Weg hierher haben die beiden jedenfalls geflirtet, was das Zeug hält.
»Mir gefällt dein Outfit besser als Vivians«, sagt Leon und legt mutig seinen Arm um Lenas Schultern.
»Ach ja?« Lena blickt an ihrem T-Shirt und dem knielangen Rock hinunter, dann schaut sie Leon in die Augen und zieht dabei eine Braue hoch. Es soll spöttisch aussehen, aber ich kenne sie gut genug, um zu wissen, wie sie sich in Wirklichkeit fühlt: verdammt unsicher angesichts Vivians Topfigur, ihrer langen schwarzen Haare und der Tatsache, dass sie mit ihren achtzehn Jahren viel fraulicher und verführerischer wirkt als wir. »Es gibt also tatsächlich Jungs, die auf Modell Kuschelbär abfahren statt auf sexy Vamps wie Vivian?«
»Offensichtlich. Einer davon steht vor dir. Aber hey, als Kuschelbär würde ich dich trotzdem nicht bezeichnen, dafür bist du viel zu hübsch.«
Leon schaut auf Lenas Mund, während er das sagt, und ihm ist deutlich anzusehen, dass er keine Lust hat, sich mit Vamps und Kuschelbären zu beschäftigen. Er hat Lust, Lena zu küssen, und zwar sofort.
Und er tut es.
Ich wende mich ab, verkneife mir ein breites Lächeln. Wie es scheint, braucht Lena nicht mit Leon ins dunkle Kino zu gehen, um ihn sich zu angeln. Er hängt bereits fest an ihrem Haken.
»Hallo.« Vivian hat uns erreicht, schenkt uns einen herablassenden Blick und schaut sich dann suchend um. »Habt ihr Bernice irgendwo gesehen?«
Bernice ist Vivians hellblondes Gegenstück und besetzt in unserer Klasse die Position der Oberzicke Nr. zwei.
»Börny?« Leon schüttelt den Kopf. »Nein. Wahrscheinlich steht sie noch daheim vor dem Spiegel und schminkt sich für ihren großen Auftritt im Nichtschwimmerbecken.«
»Sehr witzig.« Vivian funkelt ihn an. »Und nenn sie nicht Börny, ich hasse das. Sie heißt Börnieß .«
Leon grinst nur.
Vivians Blick gleitet über Leon und Lena. Erst jetzt scheint sie zu registrieren, dass er Lena im Arm hält. »Seit wann seid ihr beiden denn zusammen?«
»Seit wann geht ausgerechnet dich das was an?«, schnappt Lena zurück. Bei Vivian wird meine engelsgleiche Freundin regelmäßig zum Teufelchen.
Vivian verzieht ihren hübschen Schmollmund zu einem Lächeln. »Leon und Lena. Klingt irgendwie albern.«
In
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