Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
Mattis niemals kriegen, egal was du mit meinen Augenbrauen anstellst.«
»Schau dich doch erst mal an, du Unke!« Lena lässt von mir ab und nimmt mir den tropfenden Eiswürfel aus der Hand.
Ich gehorche, blicke in den Spiegel – und bin tatsächlich überrascht. Ein zartes Zitronengelb breitet sich in mir aus, und ich wage es zögernd, mich zu freuen. Okay, von Sophie Kirschner bis zu Emma Watson ist es immer noch ein sehr, sehr weiter Weg. Aber für meine Verhältnisse, das muss ich zugeben, sehe ich gar nicht schlecht aus.
Wie durch ein Wunder ist die Rötung bereits verschwunden. Meine Augenbrauen sind so dicht wie zuvor – ich habe Lena das Zupfen ja verboten –, doch jetzt wirken sie gleichmäßig und gerade. Dunkler als sonst, verleihen sie meinen weichen Gesichtszügen einen ungewohnten Ausdruck von Stärke.
Und das gefällt mir.
Im Spiegel trifft sich Lenas Blick mit meinem. »Zufrieden?«, fragt sie hoffnungsvoll.
Ich lächele sie an. »Danke, Lena. Du hast was gut bei mir.«
Lena strahlt. »Prima. Dann müssen wir dich nur noch von deiner Grundschulfrisur befreien!«
Mit einem raschen Griff zieht sie mir das Gummi aus dem Haar, das ich wie üblich zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammengebunden habe. Mausbraune, stumpfe Strähnen fallen mir störrisch auf die Schultern.
Lenas Enthusiasmus erhält einen deutlichen Dämpfer. »Sag mal, nimmst du eigentlich nie eine Glanzspülung oder so?«
Ich schüttele den Kopf. »Ob meine Haare glänzen oder nicht, sieht man bei einem Pferdeschwanz doch eh nicht.«
Wenn ich ehrlich bin, ist das aber keineswegs der Grund. Die Wahrheit ist, dass ich auf meinem inneren Monitor so viele leuchtende, glitzernde, schimmernde, flauschige und pastellene Farben sehe, dass mir das genügt. Die Wirklichkeit ist sowieso blass dagegen. Warum also sollte ich mich um glänzendes Haar oder schöne Stoffe kümmern?
Mein Blick im Handspiegel fliegt zum Ansatz des Spaghettiträger-Kleides, das ich anhabe – und das sogar hübsch sein könnte, wenn es nicht so verwaschen wäre. Vielleicht, denke ich, wäre es an der Zeit, etwas mehr im Außen zu leben statt im Innen. Vielleicht sollte ich den Monitor entschlossen ignorieren, so wie meine Eltern es mir ständig predigen.
Doch sofort zieht sich bei dieser Vorstellung alles in mir zusammen, in einer schmutzigen, panischen Mischung aus Braun, Oliv und Staubgrau. Und mir wird klar, dass man mir ebenso gut vorschlagen könnte, ich solle mir ein Ohr abschneiden.
Lenas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. »Lass uns ins Bad gehen, Sophie. Meine Mutter hat tausend Spülungen und Kuren rumstehen, da bedienen wir uns jetzt. Und einen schönen Lippenstift finden wir bestimmt auch noch für dich. Wäre doch gelacht, wenn wir’s nicht schaffen würden, dass Mattis bei deinem Anblick die Augen aus dem Kopf fallen!«
»Die Hoffnung stirbt zuletzt, was?«, witzele ich, um zu verbergen, dass ich ihren Optimismus ganz und gar nicht teile. Aus einem Mauerblümchen ist nun mal kein Schwan zu machen, nicht mal mit den Segnungen der chemischen Industrie. Trotzdem folge ich Lena ins Bad, wo ich wieder einmal staune, wie anders es dort aussieht als bei uns.
Zum Beispiel in der Dusche. In unserer Dusche stehen: ein Shampoo für empfindliches Haar, ein Unisex-Duschgel, eine Waschcreme fürs Gesicht und – als Zugeständnis an meine unreine jugendliche Haut – ein Peeling.
In der Dusche der Landeggers stehen: bonbonfarbene und männlich sportive Tuben, Flaschen und Spender der verschiedensten Marken, Sorten und Duftrichtungen, unüberschaubar an der Zahl, jeden Zentimeter der diversen Ablagen bedeckend. Uff.
»Ich weiß ja, dass deine Mutter Geschäftsführerin im Drogeriemarkt ist«, sage ich kopfschüttelnd, »aber euer Bad haut mich jedes Mal wieder um. Hey, für Vivian und Bernice wäre das hier das reinste Paradies!«
Lena lacht. »Für so ziemlich jede aus unserer Klasse, oder? Aber heute geht es nur um dich. Also, womit fangen wir an?«
Zwei Stunden später bin ich wieder zu Hause, stehe in meinem Zimmer vor dem großen Spiegel und frage mich, ob Mattis wohl auffallen wird, dass ich mich verändert habe.
Denn das habe ich.
Meine Haare schimmern – sattbraun und seidig umschmeicheln sie mein Gesicht. Das Rot auf meinen Lippen führt mir vor Augen, dass sie erstaunlich voll sind. Mein Mund bildet nun einen schönen, weiblichen Gegensatz zu den dunklen Brauen. Das Beste aber ist dieser Ausdruck von Stärke und Charakter in meinem
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