Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
Bushaltestelle neben der Post verschönert. Eine kaffeebraune Schönheit ohne Bauch, aber mit Körbchengröße y schaut rassig und lüstern zu uns herab. Ihr Bikini besteht aus drei winzigen Fetzen Stoff mit Leopardenmuster.
»So scharf sehe ich natürlich nicht aus«, sagt Lena ernüchtert. Sie wirft ihre blonden Locken zurück und stapft hoch erhobenen Hauptes an dem Plakat vorbei. Beinahe trotzig sieht sie aus, und ich weiß, sie denkt an die fünf Kilo Übergewicht, die sie seit Monaten loszuwerden versucht. Bislang vergeblich, was unter anderem an der deftigen Küche ihrer Mutter liegen dürfte. Eine Diät, bei der jede Woche Schweinebraten, Kraut und Knödel auf dem Plan stehen, gibt es nun mal nicht.
Ich nehme ihre Hand und drücke sie. »Ach komm, vergiss dein Gewicht. Leon ist trotzdem hin und weg von dir, oder?«
»Glaubst du wirklich?« Lenas Gesicht hellt sich auf. »Vielleicht sollte ich mal mit ihm ins Kino gehen. Du weißt schon, Küsse im Dunkeln und so … Auch wenn ich zugeben muss, dass Leon nicht ganz so gut aussieht wie der Neue, dieser Mattis.«
»Hm«, mache ich unverbindlich. Keine Ahnung, warum, aber ich will nicht über Mattis reden. Vielleicht, weil ich sein Blau nicht einordnen kann. Normalerweise gehen Gefühl und Farbe bei mir Hand in Hand, das eine erklärt das andere. Dass es diesmal nicht so ist, verwirrt mich.
Die Rosskastanien vor der Zwiebelturmkirche stehen in voller Blüte, zwischen maigrünen Blättern strecken sich weiße und rosarote Kerzen in den schäfchenbewölkten Himmel. Das Ganze sieht so bayerisch aus, dass zwei asiatische Touristen mit umgehängten Kameras stehen bleiben und anfangen, wie wild zu knipsen. Lena lacht und verdreht die Augen.
Ich hingegen nehme mir vor, genau das heute Nachmittag ebenfalls zu tun: mit der Kamera loszuziehen. Ich werde nicht ins Freibad gehen, sondern alles fotografieren, was mir vor die Linse kommt und nicht gerade ein Mülleimer ist. Denn wenn ich fotografiere, bin ich ganz auf den Augenblick konzentriert. Dann schaffe ich es, alles um mich herum zu vergessen.
Sogar coole Neue aus München, blaue Glitzerwellen und Geheimnisse, die ich schon ein Leben lang mit mir herumschleppe.
Zwei
Meine Mutter schaut durchs Küchenfenster, als ich das Gartentor öffne und die zwei Meter bis zur Haustür gehe. Noch bevor ich den Schlüssel ins Schloss stecken kann, macht sie mir auf.
»Essen ist gleich fertig«, sagt sie und lächelt. »Ich habe auf der Terrasse gedeckt. Wasch dir schon mal die Hände, ja?«
Ihre Fürsorge nervt mich, gleichzeitig bin ich irgendwie gerührt. Sie behandelt mich immer noch wie ein Kind. Ich zwinge mich, ihr Lächeln zu erwidern, und werfe meinen Rucksack in den Flur.
»Ich habe gehört, ihr habt einen Neuen?«, ruft sie, nun wieder aus der Küche.
Ich folge ihr.
»Da war das Buschtelefon aber schnell«, sage ich betont lässig, während ich denke: Warum will alle Welt mit mir über Mattis reden?
»Christa ist nicht umsonst im Elternbeirat. Alles, was am Gymnasium vor sich geht, weiß sie als Erste.« Mama zwinkert mir zu und rührt die Tomatensoße um, dann gießt sie die Nudeln ab.
Christa Landegger ist Lenas Mutter, Mamas Freundin und unsere Nachbarin. Das Haus der Landeggers grenzt direkt an unseres, zwischen den Gärten steht nicht einmal ein Zaun. Lediglich eine Doppelreihe hoher, schwarzer Tannen trennt die Grundstücke unserer Familien voneinander ab. Früher, als Lena und ich noch im Kindergarten waren, haben wir unter diesen Tannen »im Wald verirrte Waisenkinder« gespielt. Später gestanden wir uns, in wen wir verliebt waren, noch später, wen wir geküsst hatten. Und als ich nach einer grässlichen Stunde in Noah Brunners Zimmer keine Jungfrau mehr war, erzählte ich Lena tränenüberströmt in unserem Tannenversteck auch dies.
»Und?«, reißt Mama mich aus meinen Gedanken und greift nach der Sauciere. »Wie ist er so, der Neue?«
»Blau«, erwidere ich abwesend.
Sofort beiße ich mir auf die Zunge, doch es ist bereits zu spät. Meine Mutter erstarrt, nur die Sauciere in ihrer Hand zittert.
»Blau«, wiederholt sie und klingt dabei so vorwurfsvoll, dass mein Trotz erwacht.
»Ja, Mama.« Ich schaue ihr in die Augen. »Himmelblau.«
Abrupt dreht sie sich zur Spüle, stützt sich mit den Händen auf und schaut durchs Fenster in den Wald, der dicht und dunkel unsere Straße säumt. Sie atmet ein paar Mal tief durch.
Dann schaut sie mich an. »Du weißt, dass du dir diese Farben in deinem
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