Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
gespieltem Entsetzen schaut Lena zu Leon hoch. »Oh mein Gott, sie hat recht. Leon und Lena, das geht ja gar nicht. Meinst du, wir sollten gleich wieder Schluss machen?«
»Kindsköpfe.« Vivian verdreht die Augen. »Aber was will man erwarten. Ihr benehmt euch eurem zarten Alter entsprechend.«
»Also, ich an deiner Stelle wäre nicht stolz darauf, mit bald neunzehn noch in der elften Klasse zu sein«, kontert Lena bissig.
Vivians Blick unter den langen Wimpern wird frostig. Ohne ein weiteres Wort dreht sie sich um und geht zu ihrem Mini zurück. Sie lehnt sich dekorativ an die Motorhaube und wartet ohne uns Kindsköpfe auf Börny.
»Das hat gesessen«, sagt Leon.
»Es war gemein von mir«, entgegnet Lena reumütig. »Aber ich kann Vivian einfach nicht ausstehen.«
»Und mich?«, fragt Leon, woraufhin Lena kichert und ihm durch die wuscheligen Haare streicht.
»Dich schon«, sagt sie und zieht sein Gesicht zu sich herunter.
Der nächste Kuss dauert sehr, sehr lange.
Ich fange an, mich überflüssig zu fühlen. Zwischen Lena und Leon ist nicht nur das Eis gebrochen. Nein, sie befinden sich in einer tropischen, blauen Lagune mit Lizenz zum hemmungslosen Knutschen.
»Hallo?«, melde ich mich vorsichtig zu Wort. »Eure Verliebtheit in Ehren, aber sind wir nicht zum Schwimmen gekommen?«
Lena löst sich von Leon, ihre Wangen sind rot. Sie räuspert sich, ist sichtlich durcheinander. Leon muss verdammt gut küssen.
»Klar«, sagt Lena, als sie wieder fähig ist zu sprechen. »Dann, äh, lasst uns mal reingehen.«
Als ich allein meine Bahnen ziehe – Spaß im Wasser haben Lena und Leon heute eher ohne mich –, kann ich nicht anders, als mich nach ihm umzusehen.
Nach dem Neuen.
Mattis.
Aber sosehr ich mich auch bemühe, ich entdecke ihn nirgends. Dabei hat sich ganz Walding im Freibad versammelt, den brechend vollen Becken nach zu urteilen. Komisch eigentlich, denke ich müßig und drehe am Beckenrand um, schwimme die nächste Bahn, wühle mich im Wasser durch fröhliche Kinder und genervte, schimpfende Mütter. Hier ist es so voll, und im Waldinger Weiher schwimmt niemand. Vielleicht, weil er nicht gechlort ist. Wer zum Weiher geht, setzt sich höchstens in den Biergarten. Oder ist ein Tourist.
Ich hieve mich aus dem Becken, laufe tropfend zu meinem Handtuch. Als ich, das Kinn auf den flachen Händen aufgestützt, auf dem Bauch liege und die Sonne meine noch blasse Haut trocknet, lasse ich meine Augen unablässig über die Menge schweifen. Ohne Erfolg. Irgendwann gebe ich auf, greife nach meinem iPod und versenke mich in Linkin Park. Mattis ist nicht da. Na und?
Das kann mir völlig egal sein.
Die Musik lässt meinen Geist davondriften, und ich schließe die Augen. Denke doch wieder an Mattis, dessen Lippen so unverschämt schön geschwungen sind. Dessen dunkler Blick mich total durcheinanderbringt. Mattis, der immer sofort nach der Schule verschwindet, der nie bei uns anderen stehen bleibt, der noch kein einziges Wort mit mir gesprochen hat.
Umwerfend attraktiv – und absolut unnahbar.
Chester Bennington auf dem iPod singt etwas Wütendes über »flames« und »clouds«, doch als ich wegdämmere, sehe ich weder Flammen noch Wolken. Sondern blaue Wellen, in deren Gischt sich funkelndes Gold mischt.
Und immer noch habe ich keinen blassen Schimmer, was das für mich bedeutet.
Vier
Mattis taucht auch am nächsten Wochenende nicht im Schwimmbad auf.
Er kommt nicht auf die Party im Jugendhaus.
Er glänzt durch Abwesenheit, wenn die anderen Jungs nach der Schule Basketball spielen.
Er ist nie dabei, wenn wir uns im Café Lamm an der Hauptstraße treffen, am Brunnen vor der Kirche sitzen und Touristen begaffen, mit dem Bus ins Nachbardorf fahren, um ins Kino zu gehen. Mattis scheint niemals Chips an der Tankstelle einzukaufen, um nächtelange PC -Orgien zu veranstalten, und keiner von uns sieht ihn je im Irish Pub. Er trinkt in der Schule nicht einmal Red Bull, weder das normale wie Lena und ich noch das stylish silberne wie Börny oder das zuckerfreie wie Vivian. Er tut nichts von dem, was man in Walding aus Mangel an Aufregenderem eben so tut.
Was ist eigentlich los mit dem Kerl?
In den Pausen beobachte ich ihn verstohlen. Stets ist Mattis von einem Grüppchen Fans umringt, männlichen wie weiblichen, und er lächelt und plaudert und ist freundlich zu allen. Aber wenn die Schule aus ist, macht er sich auf den Heimweg, ohne sich je irgendwo dazuzustellen. Braucht er keine Freunde? Was macht er an
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