Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
wissen, wie sie aussieht, deine Innenwelt, ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen! Bin schon froh, wenn ich ohne zu stottern das Wort Synästhesie rausbringe. Also, darf ich sie sehen?«
Ich nicke. »Wie wär’s mit morgen? Heute Nachmittag gehe ich mit Mattis zum Bogenschießen. Es ist so irre heiß, im Wald ist es viel angenehmer. Und danach wollen wir zum Weiher.«
»Morgen erst? Na, warum nicht. Geht klar.« Lena sieht enttäuscht aus, dass ich keine Zeit für sie habe, auch wenn sie sich bemüht, es sich nicht anmerken zu lassen.
Nachdenklich spiele ich mit meinem Bleistift. Mattis, Lena und Leon kennen sich kaum, aber ich wüsste eigentlich keinen Grund, warum sie sich nicht verstehen sollten. Auf unkritische Bewunderer legt Mattis in seiner Freizeit zwar keinen Wert. Doch was echte Freunde betrifft, da sieht die Sache anders aus. Sonst würde er seine Kumpels aus München wohl kaum so vermissen.
Spontan frage ich: »Hättet ihr nicht Lust mitzukommen, Leon und du? Wäre doch lustig, wenn wir auch mal was zu viert machen würden.«
»Weißt du was?« Ein strahlendes Lächeln breitet sich auf Lenas Gesicht aus. »Auf diesen Vorschlag warte ich schon ewig!«
»Schon wieder daneben. So ein Pech. Komm her, Lena, gib mir einen Trostkuss.«
Leon streckt die Hand nach meiner Freundin aus und wirkt kein bisschen betrübt angesichts der Tatsache, dass wir seit zwei Stunden beim Bogenschießen sind und er noch kein einziges Mal die Zielscheibe getroffen hat. Ein Naturtalent ist er nicht gerade, denke ich und grinse, als ich sehe, wie hingebungsvoll der neueste Trostkuss ausfällt. Vielleicht will Leon ja gar nicht treffen.
Mattis ist heute allerdings auch nicht sehr konzentriert. Im Gold sind seine Pfeile erst zweimal gelandet, obwohl wir nur auf die Zehn-Meter-Scheibe schießen. Er scheint in Gedanken ganz woanders zu sein.
Als ich ihm in der Pause von der Aussprache mit meinen Eltern erzählt habe, hat er zwar aufmerksam zugehört. Aber jetzt … Woran denkt er bloß die ganze Zeit?
»Bedrückt dich irgendwas?«, frage ich ihn, als ich an der Reihe bin und den Bogen hebe. Mattis steht wie immer hinter mir, um mir beim Zielen zu helfen. Zugegeben, er zielt, ich genieße seine Nähe. Ehrgeiz werde ich in dieser Sportart wohl nie entwickeln.
»Mich bedrückt nichts, im Gegenteil«, sagt Mattis und küsst mich auf die Schulter, neben den dünnen Träger meines Tops. Ich spüre seine Lippen heiß auf meiner Haut.
Blau durchschauert mich wie ein warmer, süßer Sommerregen, und ich lasse den Bogen wieder sinken und lehne mich an Mattis’ Brust.
»So komme ich aber nicht zum Schießen«, sage ich. »Und was meinst du mit ›im Gegenteil‹?«
»Dass meine Eltern mir vorhin etwas sehr Erfreuliches eröffnet haben.« Mattis’ Hände streichen über meine Hüften, sein Atem kitzelt mein Ohr. »Sie werden am Samstag weg sein, von morgens bis abends, mit Johannes. Irgend so ein Grillfest in München, bei einem ehemaligen Kollegen meines Vaters. Aber ich bleibe daheim, und deshalb …«
Ich wende den Kopf, schaue zu ihm hoch. Mein Herz gerät aus dem Takt, als ich in Mattis’ Augen lese, was er mir sagen will.
Leise beende ich seinen Satz. »Und deshalb hätten wir das Haus, dein Zimmer und den Garten ganz für uns allein.«
Mattis nickt. »Hast du Zeit?«
»Das fragst du noch?«
Er lächelt, ich beiße mir auf die Unterlippe, um nicht allzu sehr zu strahlen, und Mattis küsst mich – zärtlich, erotisch, voller Vorfreude. Mein Gott, wie dieser Junge küssen kann! Und wie lange es noch hin ist bis Samstag! Warum ist heute eigentlich erst Dienstag?
Ich bin dankbar, dass in diesem Moment niemand meine inneren Farben sehen kann. Denn er würde mich, ohne zu zögern, »Schlumpfine« nennen.
Als es dämmert, verlassen wir den Bogenplatz und laufen zum Weiher. Unsere Lieblingswiese zeigen Mattis und ich den anderen beiden zwar nicht – die bleibt unser Refugium –, aber am Strand sind nur noch so wenige Leute, dass selbst Mattis sich unbeobachtet fühlt. Na ja, unbeobachtet von Fremden. Ich selbst kann genauso wenig meine Blicke von ihm lassen wie Mattis die seinen von mir. Und nachdem wir alle vier kreischend in die braune Brühe gesprungen sind, Schweiß und Staub abgewaschen und eine empörte Entenfamilie vertrieben haben, beschließen Mattis und ich, dass wir für heute sportlich genug waren. Statt zu schwimmen, knutschen wir.
Ich schlinge meine Beine um Mattis’ Hüften, er legt seine Hände um
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