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Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)

Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)

Titel: Der Geschmack von Sommerregen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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darf sie hinschauen? Und wenn ja, wohin ? In die Augen? Nach unten? Oder ist das pervers?
    Mir bricht der kalte Schweiß aus. Denn um ehrlich zu sein, ich habe keinerlei Ahnung von alldem. Diese ganzen Dos und Don’ts, die hinter vorgehaltener Hand kursieren – wie verpflichtend sind die eigentlich? Machen Jungs sich da überhaupt Gedanken drüber? Oder setze ich mich völlig unnötig unter Druck? Sollte ich es einfach auf mich zukommen lassen?
    Eines ist jedenfalls klar: Wenn ich mich weiter so in meine Unsicherheit hineinsteigere, komme ich bei Mattis an wie ein zitterndes Häuflein Elend.
    Und das ist garantiert nicht sexy.
    Um mich abzulenken, denke ich an die letzten Tage – die ja auch wirklich ereignisreich genug waren. Zum Beispiel habe ich Lena meine eingefärbten Fotos gezeigt, und sie hat mir diesen verrückten Vorschlag gemacht, von dem ich Mattis noch gar nichts erzählt habe! Das muss ich nachher unbedingt nachholen. Ich lächele, kann Frau Schöllers begeisterte Reaktion immer noch nicht ganz fassen. Lena jedenfalls ist megastolz, dass ihre Idee aller Voraussicht nach Wirklichkeit wird.
    Mit neuem Schwung trete ich in die Pedale, und nicht mal der Gedanke an Vivian kann meine gute Laune dämpfen. Seit Mattis’ Auftritt am Montag lässt Vivian mich in Ruhe, aber ich merke es ihr an, sie hasst mich mehr denn je. Ob sie einen weiteren Versuch starten wird, mich fertigzumachen?
    Und wenn schon!, denke ich und hebe das Kinn. Meine Haare flattern im Wind, und ich fühle mich zuversichtlich und frei.
    Von dem blöden Video spricht schon lange keiner mehr, dafür wird immer noch eifrig über das Kräftemessen zwischen Mattis, Vivian und Noah getuschelt. Komisch, keiner nimmt es Mattis übel, dass er vor der ganzen Klasse den Löwen gespielt und gebrüllt hat. Im Gegenteil: Er wird nur umso mehr bewundert und sehnsüchtiger angeschmachtet. Lena, die am Montagmorgen ja nicht dabei war, hat schon so viele Versionen des großen Ereignisses gehört, dass sie sich am liebsten in den Hintern beißen würde, weil sie es verpasst hat. Und Börny scheint es genauso zu gehen, ihre Unterwürfigkeit Vivian gegenüber hat jedenfalls deutlich nachgelassen. Gut so, denke ich zufrieden.
    Auch mein neues Verhältnis zu Mama stimmt mich optimistisch. In den letzten Tagen habe ich mehr mit meiner Mutter geredet als sonst in einem Jahr. Das macht mich glücklich – und dass dieses Glück rot und flauschig ist, weiß Mama inzwischen auch. Als ich ihr die Farbe beschrieben habe, hat sie nicht mal den Versuch gemacht, es mir auszureden, sondern nur die Hände ineinander verschränkt und stumm genickt. Wenn das mal kein Fortschritt ist!
    Außerdem habe ich gestern in der Schale neben dem Telefon eine Visitenkarte gefunden – von einem Psychotherapeuten. Als ich meine Eltern beim Abendessen vorsichtig darauf angesprochen habe, hat Mama gezaudert. Es sei nur so eine Idee und sie wisse wirklich nicht, ob eine Therapie das Richtige für sie sei. Aber Papa hat vehement die Meinung vertreten, es täte ihr gut, meine Mutter schleppe das alles schon viel zu lange mit sich herum. Es sei überhaupt keine Schande, wenn sie die Aufarbeitung ihrer Wunden nicht alleine bewältige, sondern sich Hilfe dafür hole. Dafür seien Menschen wie dieser Psychotherapeut schließlich da. Dafür sei der ausgebildet! Und wir zahlten jeden Monat so viel Geld an die Krankenkasse! Er sehe gar nicht ein, dass man da nicht auch mal was in Anspruch nehmen dürfe! Sollte die Kasse sich weigern, dann würde Paragraf soundso greifen, hah, das wäre doch gelacht, wenn die nicht mindestens ein Jahr Therapie bezahlen würden, vielleicht sogar … Kurz: Papa war wieder ganz der Alte, voll in seinem Element, geradlinig auf Kurs.
    Aber diesmal war das gut so, denn ich glaube, er hat Mama überzeugt.
    Ich biege in die kleine Straße ein, die zwischen Weizenfeld und Löwenzahnwiese zum Bauernhaus der Bendings führt. Mein Ablenkungsmanöver hat funktioniert, und ich bin überhaupt nicht mehr nervös. Okay, fast überhaupt nicht mehr. Nur ein bisschen. Nur, wenn ich daran denke, dass ich schon sehr bald mit Mattis im Bett liegen werde, nackt und hoffentlich alles richtig machend und hoffentlich, hoffentlich schön genug für ihn und … Oh mein Gott, es ist Tag, wir tun es bei Tag, und das bedeutet, es wird hell sein!
    Bevor meine Gedanken mich noch zum Herzinfarkt treiben, springe ich vom Rad, lehne es nachlässig gegen den Zaun und haste durch den blühenden Vorgarten

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