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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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sein Schreien durch die Wand hören. Da habe ich zu Mrs. Butterfield gesagt: — Mrs. Butterfield nickte zustimmend — Und so sind wir nun hier. Was sagen Sie dazu?»
    Bevor er etwas antworten konnte, das sich wahrscheinlich nicht hätte wiedergeben lassen, wie sein verzerrter Mund vermuten ließ, schaltete sich Mrs. Schreiber schnell ein, die sah, daß Mrs. Harris nervös wurde und den Faden verlor: «Mrs. Harris und Mrs. Butterfield wohnen direkt neben den Leuten, den Gussets. Sie waren die Pflegeeltern, das heißt, Henrys Mutter brachte das Kind bei ihnen unter, nachdem sie sich wieder verheiratet hatte, und als kein Geld mehr kam und sie unauffindbar blieb, begannen sie den Jungen zu mißhandeln. Mrs. Harris konnte das nicht ertragen, und darum brachte sie ihn her. Sie ist eine gute Frau und will nur das Beste des Kindes...»
    Hier merkte sie plötzlich, daß ihre Erklärungen genauso lahm und stockend klangen wie die von Mrs. Harris soeben, und sie schwieg verwirrt und blickte ihren Mann hilfesuchend an.
    «So ungefähr liegen die Dinge, Kentucky», sagte Mr. Schreiber, in die Bresche springend, «obwohl ich glaube, es ließe sich noch besser erklären. Als Mrs. Harris ihn herüberbrachte, wußte sie nicht, wer sein Vater war. Sie vermutete nur, daß, wenn sie ihn fände und er erfuhr, wie sehr der Junge ihn brauchte, er ihn zu sich nehmen würde.»
    Kentucky schnalzte mit der Zunge und knallte in einem seltsamen Rhythmus mit den Fingern, wie er es manchmal tat, wenn er eine Ballade sang. Dann sagte er: «Ach, das hat sie geglaubt?» Er blickte zu Mrs. Harris und Mrs. Butterfield hinüber und fuhr fort: «Wissen Sie, was Sie sind? Zwei alte Hexen, die ihre Nasen in alles stecken. Sie können ihn gleich wieder dorthin zurückbringen, woher er kommt. Ich habe Sie nicht gebeten, ihn herzubringen. Ich will ihn nicht, und ich nehme ihn nicht. Ich bin nur ein dummer Bauernjunge, aber nicht dumm genug, um nicht zu wissen, daß mein Publikum entsetzt wäre, wenn es herausbekäme, daß ich geschieden bin und ein Kind auf dem Buckel habe. Und wenn Sie versuchen sollten, mich dazu zu zwingen, ihn zu nehmen, werde ich erklären, Sie seien ganz gemeine Lügner, werde meinen Vertrag zerreißen, und dann können Sie tüchtig berappen — zehn Millionen hundertprozentige amerikanische Jugendliche werden hinter mir stehen.»
    Nach dieser langen Rede ließ Claiborne seine Augen über die kleine Gruppe schweifen, ohne sie auch nur eine Sekunde auf seinem Sohn ruhen zu lassen, und dann sagte er: «So, das wäre wohl alles. Auf Wiedersehn!» Er stand auf und ging mit lässigen Schritten aus dem Zimmer.
    Mr. Schreiber ließ seinen Gefühlen freien Lauf: «Dieser schmutzige Lump», sagte er.
    Mrs. Butterfield zog ihre Schürze über den Kopf und eilte in die Küche.
    Mrs. Harris war aschfahl und sagte immer wieder: «Ich bin eine alte Hexe, die ihre Nase überall hineinsteckt.» Und dann fügte sie hinzu: «Ja, das habe ich getan.»
    Aber der Einsamste von allen war der kleine Henry, der mitten im Zimmer stand und dessen große Augen wissender und trauriger wirkten denn je, als er sagte: «Ich möchte ihn nicht als Vater haben.»
    Mrs. Schreiber ging zu ihm, nahm ihn in die Arme und weinte. Aber Mrs. Harris, die sich dem endgültigen und vollkommenen Zusammenbruch all ihrer Träume und Illusionen gegenübersah, war viel zu erschüttert, um weinen zu können,.

21

    Mrs. Harris, die sich von der trügerischen Hoffnung hatte einlullen lassen, daß Kentucky Claiborne sein Kind mit offenen Armen aufnehmen und von da an die Liebe und Güte selber sein werde, wurde es schwarz vor den Augen. Mit letzter Kraft ging sie in ihr Zimmer, zog sich aus, streifte ein Nachthemd über und legte sich ins Bett. Und dann senkte sich gnädig ein Vorhang über alles, was geschehen war. Und das war gut, denn sonst hätte sie die Demütigungen nicht ertragen können, die sie hatte hinnehmen müssen, und den Zusammenbruch der schönen Träume von einem guten Leben für einen kleinen Jungen, die sie so lange gehegt und für deren Verwirklichung sie so viel getan hatte. Sie lag mit weit offenen Augen da und starrte zur Decke, aber sie sah, hörte und sagte nichts.
    Auf den schrillen Angstschrei von Mrs. Butterfield hin, die sie so vorfand, kam Mrs. Schreiber in die Küche geeilt.
    «Ach, Madam», sagte Mrs. Butterfield, nachdem sie sich

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