Zu-nichts-nütze-Seins, ihrer Unzulänglichkeit und des Furchtbaren, das sie getan hatte, und sie setzte sich auf das Bett, legte die Hände vors Gesicht und weinte. Sie weinte nicht aus Enttäuschung oder Selbstmitleid, sondern aus Liebe und Mitleid mit anderen. Sie weinte um einen kleinen Jungen, der, schien es, was sie auch immer tun mochte, keine Chance in der Welt haben würde. Die Tränen tropften zwischen ihren Fingern hindurch auf das Diorkleid.
20
Als sie sich dann etwas erholt hatte, kehrte sie zu Mrs. Butterfield in die Küche zurück, und bis tief in die Nacht hinein, lange nachdem der kleine Henry — der nichts von den Gewitterwolken ahnte, die sich über seinem Kopf zusammenzogen — eingeschlafen war, besprachen sie, was aus ihm werden sollte.
In diesem abwechselnd hoffnungsvollen und beklommenen Gespräch, in dem verwegene Pläne und nüchterne Überlegungen einander ablösten, ließ Mrs. Butterfield immer wieder wie eine afrikanische Trommel die gleiche, düstere Melodie erklingen: «Aber, Liebe, er ist doch sein Vater», bis Mrs. Harris, die durch die Erregung, in die die Enthüllung sie versetzt hatte, fast am Rande des Wahnsinns war, rief: «Wenn du das noch einmal sagst, Vi, hänge ich mich auf.»
Mrs. Butterfield schwieg, aber Mrs. Harris sah, wie ihr kleiner Mund weiter stumm den Satz bildete:
Von Anfang an hatte sich Mrs. Harris gegen das gesträubt, von dem sie wußte, daß sie es tun mußte, nämlich den kleinen Henry seinem rechtmäßigen Vater zu geben und sich um die Sache nicht weiter zu kümmern. Die Schreibers hatten ihr eine Tür offen gelassen. Indem sie Claiborne nichts sagten und es ihr überließen, hatten sie gezeigt, auf wessen Seite sie standen und daß sie niemandem etwas sagen würden und allein sie und Mrs. Butterfield die Wahrheit wußten.
Doch was sollte nun aus dem Jungen werden? Ihn zu den Gussets zurückbringen? Aber wie? Mrs. Harris hatte zu lange in einer Welt der Personalausweise, Lebensmittelkarten, Pässe, Genehmigungen gelebt — einer Welt, in der man nur existierte, wenn man ein Papier besaß, das besagte, daß man existierte. Der kleine Henry existierte amtlich in einer Fotokopie der Akte der amerikanischen Luftwaffe, in einer Londoner Geburtsurkunde und nirgendwo sonst. Er hatte England illegal verlassen und war sogar noch illegaler in die Vereinigten Staaten hereingekommen. Sie wußte genau, daß man, wenn sie versuchten, ihn auf dieselbe Art zurückzubringen, wie sie ihn hergebracht hatten, sie schnappen würde. Ihr selbst war das gleich, aber sie konnte es ihrer schon so heimgesuchten Freundin Violet Butterfield nicht antun.
Den kleinen Henry heimlich bei sich behalten? Selbst wenn es ihnen mit Hilfe von Mr. Schreiber gelänge, ihn nach England zurückzubringen — was wenig wahrscheinlich war—, würden die entsetzlichen Gussets sie nicht in Ruhe lassen. Freilich hatten sie wegen des Kinderraubs keinen Lärm geschlagen, ja, nicht einmal einen Piep von sich gegeben, sonst hätte Mrs. Harris es durch die Polizei gehört. Aber wenn der kleine Henry wieder in Willis Gardens war, würden sie ihn bestimmt zurückfordern, denn sie konnten ihn als Packesel gut gebrauchen.
Gleichzeitig erkannte sie auch, wie falsch ihre Vorstellung von Henrys Eltern gewesen war. Nicht Pansy Cott war die Schuldige, sondern George Brown — ein grundschlechter, ungebildeter, rachsüchtiger Mensch. Es war von Pansy nur klug gewesen, und sie hatte dem Kind damit einen guten Dienst erwiesen, als sie sich weigerte, ihren Mann nach Amerika zu begleiten. Es bestand auch kein Zweifel, daß Brown ihr nicht einmal Geld für den Unterhalt des Kindes geschickt hatte.
Aber eine Entscheidung mußte gefällt werden, und sie, Ada Harris, mußte die Verantwortung dafür auf sich nehmen.
Was es ihr jedoch am schwersten machte, war die Liebe, die sie für den Jungen empfand, und ihr heißer Wunsch, ihn glücklich zu sehen. Ihr Leben war mit dem des Kindes unlöslich verbunden, und jetzt gab es kein Entrinnen mehr. Wie alle Menschen, die mit dem Feuer spielen, wußte sie, daß sie dabei war, sich selber schlimm zu verbrennen.
Und während ihr dies alles durch den Kopf ging, trommelte Mrs. Butterfield immer wieder die gleiche Melodie: «Aber, Liebe, er ist doch sein Vater. Du hast immer gesagt, wie glücklich er sein würde, seinen Sohn wiederzuhaben, und daß er ihn auf der Stelle den Gussets wegnähme. Er hat doch ein Anrecht auf ihn!»
Dies war die nackte,