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Der Gesellschaftsvertrag

Der Gesellschaftsvertrag

Titel: Der Gesellschaftsvertrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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weniger Privatangelegenheiten, weil von der Summe der allgemeinen Wohlfahrt ein weit beträchtlicherer Teil auf die des einzelnen übergeht, und derselbe deshalb durch eigene Sorge weit weniger zu erringen braucht. In einem gut verwalteten Gemeinwesen eilt jeder zu den Versammlungen; unter einer schlechten Regierung hat niemand Lust, auch nur einen Schritt darum zu tun, weil an dem, was dort vorgeht, niemand Anteil nimmt. Es läßt sich voraussehen, daß der allgemeine Wille dort nicht zur Herrschaft gelangen wird, und die häuslichen Sorgen keine anderen Interessen zulassen. Aus den guten Gesetzen gehen noch bessere hervor, aus den schlechten noch schlechtere. Sobald man bei Staatsangelegenheiten die Worte hören kann: »Was geht das mich an?« kann man darauf rechnen, daß der Staat verloren ist.
    Die Erkaltung der Vaterlandsliebe, die Regsamkeit des Privatinteresses, die übertriebene Größe der Staaten, die Eroberungen, der Mißbrauch der Regierung haben den Gedanken erweckt, die Volksversammlungen nur durch Abgeordnete oder Vertreter abhalten zu lassen. In gewissen Ländern erdreistet man sich, solche Abgeordnete den dritten Stand zu nennen. In dieser Form nimmt das Privatinteresse zweier Klassen die erste und zweite Stelle ein, während dem Staatsinteresse die dritte überlassen bleibt.
    Die Staatshoheit kann aus demselben Grunde, die ihre Veräußerung unstatthaft macht, auch nicht vertreten werden; sie besteht wesentlich im allgemeinen Willen, und der Wille läßt sich nicht vertreten; er bleibt derselbe oder er ist ein anderer; ein mittleres kann nicht stattfinden. Die Abgeordneten des Volkes sind also nicht seine Vertreter und können es gar nicht sein; sie sind nur seine Bevollmächtigten und dürfen nichts beschließen. Jedes Gesetz, das das Volk nicht persönlich bestätigt hat, ist null und nichtig; es ist kein Gesetz. Das englische Volk wähnt frei zu sein; es täuscht sich außerordentlich; nur während der Wahlen der Parlamentsmitglieder ist es frei; haben diese stattgefunden, dann lebt es wieder in Knechtschaft, ist es nichts. Die Anwendung, die es in den kurzen Augenblicken seiner Freiheit von ihr macht, verdient auch wahrlich, daß es sie wieder verliert.
    Der Gedanke der Stellvertretung gehört der neueren Zeit an. Die Vertretung ist der Ausfluß jener unbilligen und sinnlosen Regierungsform der Feudalzeit, in der die Menschenwürde herabgewürdigt und der Name Mensch geschändet wird. In den alten Republiken, ja sogar in den Monarchien hatte das Volk nie Vertreter; man hatte in der Sprache nicht einmal ein Wort dafür. Es ist höchst auffallend, daß man sich in Rom, wo die Tribunen so heilige Personen waren, nie einfallen ließ, sie könnten sich die oberherrlichen Rechte des Volkes anmaßen, und daß sie sich inmitten einer so großen Volksmasse nie versucht fühlten, aus eigener Machtvollkommenheit eine Volksabstimmung zu umgehen. Von der Unordnung, die eine Volksmasse bisweilen herbeiführte, kann man sich jedoch nach dem ein Urteil bilden, was sich zur Zeit der Gracchen ereignete, wo viele Bürger ihre Stimmen von den Dächern herab abgaben.
    Wo Recht und Freiheit alles sind, bedeuten solche Mißbräuche nichts. Bei jenem weisen Volke hatte alles das rechte Maß. Seine Lictoren durften sich herausnehmen, was seine Tribunen nie zu tun gewagt hätten; es brauchte nicht zu befürchten, daß seine Lictoren die Absicht hätten, es zu vertreten.
    Um sich indessen zu erklären, wie es die Tribunen bisweilen doch vertraten, genügt die Kenntnis, wie die Regierung das Staatsoberhaupt vertritt. Da das Gesetz nur die Darlegung des allgemeinen Willens ist, so liegt es auf der Hand, daß das Volk in seiner gesetzgebenden Gewalt nicht vertreten werden kann, während es in der vollziehenden Gewalt, die nur die nach dem Gesetze angewandte Kraft ist, vertreten werden kann und sogar muß. Dies zeigt deutlich, daß man bei gründlicher Prüfung der Verhältnisse sehr wenige Völker finden würde, die Gesetze im eigentlichen Sinne haben. Wie dem auch sein möge, so ist doch so viel gewiß, daß die Tribunen, da sie an der vollziehenden Gewalt keinen Anteil hatten, nie berechtigt waren, das römische Volk von Amts wegen zu vertreten, sondern höchstens so, daß sie die Rechte des Senates an sich rissen.
    Alles, was bei den Griechen das Volk zu tun hatte, tat es selbst: es war fortwährend auf den öffentlichen Plätzen versammelt. Ein mildes Klima war seine Heimat, und Habgier war ihm fremd; Sklaven

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