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Der gestohlene Abend

Der gestohlene Abend

Titel: Der gestohlene Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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den hell erleuchteten Garten hinaussehen. Fackeln brannten. Der Pool musste etwas weiter hinten liegen. Frederic und seine Freunde waren nirgends zu sehen. Ich gab mir einen Ruck, ging auf einen der Kellner zu und fragte, ob ich telefonieren dürfte. Ich folgte ihm in die Küche, wo neben dem Eingang ein Apparat an der Wand hing.
    »Ich brauchte ein Taxi«, sagte ich zu ihm. »Wissen Sie vielleicht, welche Nummer ich dafür wählen muss?«
    »Ein Taxi?« Er sah mich amüsiert an. »Sind Sie aus New York?«
    »Nein. Aus Berlin.«
    »Berlin, New Jersey?«
    »Minnesota.«
    »Ich hole Ihnen ein Telefonbuch«, sagte er und verschwand. Die Uhr an der Mikrowelle stand auf 23:34. Vor Mitternacht würde ich nicht im Bett sein. Ich dachte an das Lesepensum, das bis Montag vor mir lag. Warum war ich nur mitgegangen?
    »Hi.«
    Ich hatte sie überhaupt nicht kommen gehört. Wahrscheinlich weil sie barfuss war.
    »Oh, hi, Janine. Das ist ja ein Zufall.«
    Sie stand direkt hinter mir, in einem Durchgang, der wohl zu den Bädern führte. Ich trat zur Seite, um sie vorbeizulassen. Sie wollte weitergehen, doch plötzlich war der Kellner im Weg.
    »Hier«, sagte er zu mir und reichte mir ein fettes, gelbes Paket mit der Aufschrift South Coast County Phorie Directory.
    »Willst du dir 'ne Pizza bestellen?«, fragte sie spöttisch.
    »Nein. Ein Taxi. Ich will nach Hause und die Leute nicht belästigen, die mich mitgenommen haben.«
    Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
    »Wohnst du auf dem Campus?«
    »Ja.«
    »Ich fahre jetzt eh gleich. Ich kann dich mitnehmen, wenn du willst. In fünf Minuten in der Auffahrt. OK?«
    Ich kannte ihren Rücken ja aus dem Pool. Aber in diesem Kleid war er noch einmal ein ganz anderer Anblick. Ich ging in den Garten, um Frederic zu suchen und fand ihn auf einer Rattan-Liege, wo er mit einem blonden Mädchen herumknutschte. Auf dem Rückweg ins Haus traf ich auf Derek, der am Grill stand und irgendetwas briet. Ich sagte ihm, dass ich nach Hause fahren würde, hatte jedoch nicht den Eindruck, dass er es wirklich registrierte.
    Janine wartete schon vor dem Haus. Ihr Wagen stand etwas abseits, kein Porsche oder Jaguar, wie ich fast beruhigt feststellte, sondern ein simpler Ford Kompaktwagen. Sie trug jetzt einen Blazer über ihrem Kleid.
    »Ganz anderes Publikum hier als bei Miss Goldenson«, sagte ich, als wir im Wagen saßen.
    Sie startete und fuhr los.
    »Reiche Schnösel eben«, sagte sie. »Wie bist du denn hier gelandet?«
    Ich erzählte ihr von Frederics Einladung und wie ich den Abend verbracht hatte.
    »Da hast du ja noch mal Glück gehabt«, sagte sie. »Sie hätten dich auch zu einer Erstsemesterparty mitnehmen können. Da wird nur gesoffen und gekotzt. Die Party heute Abend war ziemlich untypisch.«
    »Ja, nicht unbedingt eine Studentenparty.«
    »Nein. Eine Studentinnenparty.«
    »Ach ja?«
    »War doch auffällig, oder? Die Typen alle Anfang dreißig und die meisten Mädchen neunzehn plus.«
    »Ach so«, sagte ich. »Und warum warst du dann dort?«
    Sie schwieg einen Moment, bevor sie antwortete.
    »Das war jetzt genau die Frage, die du nicht stellen solltest.«
    Sie bog auf den Küstenhighway ein. Die nächste Minute war seltsam. Ich hatte nur einen Spaß machen wollen. Vorsichtshalber wich ich auf unverfänglicheres Gelände aus.
    »Warum musste deiner Ansicht nach der Ritter sterben?«
    »Der Ritter? Welcher Ritter?«
    »Der in Bergmanns Film?«
    »Ach so. Ich denke, weil er ein Fanatiker war. Und vermessen. Mit dem Tod spielt man nicht Schach. Und du?«
    »Willst du meine wirkliche Meinung oder das, was ich für Goldenson geschrieben habe?«
    »Deine wirkliche Meinung natürlich.«
    »Ich finde schon, dass man mit dem Tod Schach spielen kann«, sagte ich. »Man muss sogar. Aber der Ritter hat einen großen Fehler gemacht: Das Damenopfer.«
    »Welches Damenopfer?«, fragte sie.
    »Beide. Auf dem Brett und im Leben.«
    »Das musst du mir schon genauer erklären.«
    »Der Ritter glaubt doch gar nicht mehr an Gott oder den Teufel. Warum schreitet er also nicht ein, als man die junge Frau als Hexe verbrennt? Da war er für mich reif für die Hölle. Er hat das Spiel gegen den Tod zweimal verloren: auf dem Schachbrett und vor diesem Scheiterhaufen. Er war ein schlechter Mensch, der nichts gelernt hat. Nicht einmal, wann ein Damenopfer sinnlos ist.«
    »Und du, bist du ein guter Mensch?«, fragte sie amüsiert.
    »Immerhin bin ich kein schlechter Schachspieler. Was machst du sonst noch so

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