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Der gestohlene Abend

Der gestohlene Abend

Titel: Der gestohlene Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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gesprochen, nur einmal Highschool-Erlebnisse ausgetauscht und ein wenig über Berlin geredet. Es waren Gespräche gewesen, die dazu dienten, Gespräche zu vermeiden. Je näher wir Hillcrest kamen, desto anhaltender war das Schweigen zwischen uns geworden. Auf den letzten Kilometern hatte er plötzlich angefangen, über Kleist zu reden. Offenbar war ihm sein Versprechen wieder eingefallen. Aber ich hatte keinen Kopf mehr dafür. Ich war froh, endlich aus dem Auto herauszukommen.
    Ich ging sofort zu Janines Wohnung. Ihr Wagen stand nicht vor dem Haus. Ich klingelte trotzdem. Natürlich war sie längst weggefahren. Die nächsten Stunden überlegte ich unablässig, was ich tun konnte, um sie wieder zu versöhnen. Blumen kaufen? Das war an einem Sonntagabend aussichtslos. Ein kleines Geschenk? Ich rief jede halbe Stunde bei ihr an und begann die aufgezeichnete Stimme, die mich jedes Mal begrüßte, allmählich zu hassen. Um halb elf war sie noch immer nicht zurück. Venice Beach lag etwa eine Stunde von Hillcrest entfernt. Wie lange dauerte denn so ein verdammter Grillnachmittag? Soweit ich wusste, fand die Party in einem Haus statt, das Janines Freundin mit drei anderen Studenten gemietet hatte. Ich hatte weder die Adresse noch eine Telefonnummer. Womöglich würde sie sogar erst am nächsten Tag nach Hause kommen. Die Vorstellung bescherte mir Magenstechen. Ich verfluchte David. Und dann mich selbst. Was war ich für ein Idiot. Genau das hatte er beabsichtigt.
    Meine schlimmsten Ahnungen bestätigten sich, als ich um kurz vor Mitternacht das letzte Mal erfolglos bei ihr anrief. Ich schlief miserabel, wurde laufend wach, doch mitten in der Nacht bei ihr anzurufen, erschien mir übertrieben. Am nächsten Morgen antwortete sie noch immer nicht. Ich ging trotzdem zu ihrem Haus: Keine Spur von ihrem Wagen. Mein Magenstechen hatte sich mittlerweile fest eingerichtet. Trotzdem ging ich schwimmen. Aber das half auch nicht viel. Ich redete mir ein, dass es Unsinn war, aber meine Fantasie hörte gar nicht mehr auf, mir unangenehme Szenen vorzuspielen. Sie hatte in Venice Beach übernachtet! Natürlich kam mir die Party in der Millionärsvilla in den Sinn. Die Art und Weise, wie sie dort auf der Couch gelegen hatte. Der Mann daneben. Dabei war ich auch noch selbst schuld. Was in Teufels Namen hatte mich nur dazu verleitet, mit David nach Hearst Castle zu fahren? Und dann war ich auch noch zu spät zurückgekommen. Kein Wunder, dass sie stinksauer war.
    Um kurz vor neun stand ich wieder ratlos vor ihrem Haus. Danach saß ich mein Robinson-Crusoe-Seminar ab und rief in der Pause wieder bei ihr an. Keine Antwort. Nach dem Kurs ging ich erneut zu ihrem Haus. Endlich. Schon von weitem sah ich mit klopfendem Herzen ihren Wagen auf dem Parkplatz. Ich lief sofort die zwei Treppen hinauf und klopfte an die Tür. Keine Reaktion. Ich wartete, lauschte. Nichts. Ich hatte sie verpasst. Aber sie musste meine Nachrichten abgehört haben. Vielleicht stand sie ja gerade vor meiner Tür. Aber dort war niemand, als ich dort völlig außer Atem ankam. Ich ging sofort zum Telefon, in der festen Erwartung, dass das rote Lämpchen des Anrufbeantworters blinken würde. Aber da war nichts. Kein Anruf. Totale Funkstille.
    Ich setzte mich und hatte das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen. Das war doch nicht normal. Oder hatte sie nicht angerufen, weil sie wusste, dass ich heute Seminare hatte? Klar. Sie ging natürlich davon aus, dass ich irgendwo auf dem Campus war, in der Bibliothek oder in der Cafeteria.
    Ich trieb mich zwei Stunden lang überall herum, wo unsere Wege sich hätten kreuzen können. Immer wieder versuchte ich es bei ihr zu Hause. Sie sitzt in ihren Seminaren, sagte ich mir. Ich muss eben bis heute Abend warten. Ich verhielt mich wie ein Narr. Sie war über Nacht bei ihrer Freundin geblieben, gerade noch pünktlich zurückgekommen und gleich zum Unterricht gegangen. Jetzt saß sie vermutlich irgendwo in der Bibliothek oder hatte ein Gespräch mit einem ihrer Professoren. Bei diesem Gedanken fuhr es mir plötzlich heiß den Rücken herunter. Ich hatte ja heute auch einen Termin! Bei Marian! Und ich hatte überhaupt nichts vorbereitet.
    Ich kehrte sofort nach Hause zurück, zog meine verschwitzten Sachen aus und duschte. Das tat mir gut. Vorübergehend wurde ich wieder ein wenig ruhiger. Auf meinem Schreibtisch lag das ganze Material, das ich mir am Freitag vor meiner unerwarteten Abreise zusammengestellt hatte. Ich hatte keine Zeit

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