Der gewagte Antrag
kümmern.” Elinor wandte sich ab, weil ihr unwillkürlich die Augen feucht wurden. Nach einer vergeblichen Londoner Saison vor neun Jahren und einem halben Dutzend abgewiesener Verehrer, deren heuchlerische Beweggründe sie tief verletzt hatten, war sie zu dem Entschluss gelangt, sich in die Abgeschiedenheit von Campions zurückzuziehen und nie mehr am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Sie war Waise, seit die Eltern vor Jahren bei einem Schiffsunglück ertrunken waren, und der Tod des Großvaters nach langer Krankheit hatte sie in dem Wunsch bestärkt, nie mehr nach London zu fahren. Annabelle Conybeare, ihre Tante und Gesellschafterin, hasste die Stadt ebenso wie sie. Nachdem sie beide die Vorteile des selbständigen Lebens in Yorkshire kennengelernt hatten, waren sie mit dem abgeschiedenen Dasein in Campions vollauf zufrieden.
“Du wirst deine Entscheidung bereuen, meine liebe Elinor”, äußerte Chesney verstimmt. “Ich glaube beinahe, es wäre besser für dich, Ulric zu heiraten, statt so wie du zu leben.”
“Du weißt, dass du das nicht wirklich so meinst”, erwiderte sie leichthin und drehte sich zu ihm um. “Gut, ich werde Halstead empfangen, sollte er mich aufsuchen. Aber ich warne dich! Es wird ihm nicht gefallen, was ich ihm zu sagen habe.” Verabschiedend reichte sie dem Onkel die Hand zum Kuss und wartete, bis er den Türkischen Salon verlassen hatte.
Dann begab sie sich zur Tante, berichtete ihr von dem Gespräch und musste zu ihrem Erstaunen feststellen, dass Annabelle nicht wie sonst für sie Partei ergriff.
Annabelle druckste einen Moment verlegen und sagte schließlich leise: “Ich finde, liebste Nell, dass dein Onkel nicht unrecht hat. Wenn es dir unmöglich ist, Lord Halstead zu akzeptieren, dann sollten wir vielleicht doch noch einmal eine Saison in London mitmachen.”
“Du kannst das gern tun”, erwiderte Elinor und schlug zum ersten Male der Tante gegenüber einen schroffen Ton an. “Ich werde es nicht! Ich heirate, wenn ich dreißig bin, irgendeinen alten Tattergreis, der gerade noch imstande ist, einen Sohn zu zeugen, und so viel Wert auf seine Bequemlichkeit legt, dass er sich nicht in mein Leben mischt.” Angesichts der enttäuschten Miene, die ihre Tante nach diesen Worten zog, ging sie zu ihr, nahm sie herzlich in die Arme und sagte entschuldigend: “Es tut mir leid, Tante Annabelle. Es war ungehörig von mir, mich über dich lustig zu machen. Du warst immer nett zu mir, aber du müsstest besser denn jeder andere wissen, was ich von der Ehe halte.”
“Ich weiß, wie gut und erfüllend sie für eine Frau sein kann”, äußerte Annabelle verhalten. “Ich bedauere noch immer, dass mir mein lieber Geoffrey so vorzeitig genommen wurde. Eines Tages wirst du bestimmt einen Mann kennenlernen, den du liebst und umsorgen möchtest, und der dir dieselbe Einstellung entgegenbringt.”
“Ich bin nicht du”, sagte Elinor schmunzelnd. “Mein Vermögen steht mir im Wege und blendet alle, die sich für mich interessieren.”
2. KAPITEL
D as Wetter war schlecht, doch das hielt Charles nicht davon ab, die Pferde auf dem Weg nach Schottland zum äußersten anzutreiben. Glen Ruadh war für ihn zum Zufluchtsort geworden, und er konnte es kaum erwarten, dort einzutreffen. Das alte Leben und sein früheres Ich lagen jetzt hinter ihm, und beides hatte er zu verabscheuen begonnen.
Irgendwann hatte er plötzlich den Eindruck gewonnen, dass er und sein Kammerdiener verfolgt wurden. Wann er zum ersten Male dieses Gefühl bekommen hatte, konnte er jedoch nicht sagen. Sie hatten die Nacht in einer schmuddeligen Herberge verbracht und waren nach einem miserablen Frühstück auf der sich ständig verschlechternden Straße nördlich von Bradford durchs Moor weitergefahren. Dort hatten sie zunehmend das Gefühl, beobachtet zu werden, und auch Vinnie war der Meinung gewesen, dass man ihnen nachstellte. Meile auf Meile war verstrichen, und Charles hatte sich mehrfach gewünscht, nicht die Karriole genommen zu haben, sondern wie sein Kammerdiener geritten zu sein. Doch bislang war nichts geschehen, und deshalb glaubte er nach einiger Zeit, dass er sich in seiner Annahme getäuscht hatte.
Dann indes, als sie am höchsten Punkt des Moores angekommen waren und der Weg sich vor ihnen den Abhang hinunterschlängelte, merkte er, dass seine bösen Vorahnungen gestimmt hatten. Jäh knallten zwei Schüsse. Eine Kugel flog an seinem Kopf vorbei, die andere traf den neben ihm herreitenden
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