Der gewagte Antrag
despektierlich gemeint”, sagte Elinor beschwichtigend. “Natürlich möchte er wissen, wen er vor sich hat, vor allem dann, wenn er sich nicht mehr erinnern kann. Ich bin die Countess of Malplaquet”, wandte sie sich in freundlichem Ton an Chad. “Tun Sie, was Mr. Aisgill von Ihnen verlangt, denn sonst müssen Sie Campions verlassen. Haben Sie das verstanden?”
Chad nickte, erneut verunsichert. “Ja, ich soll tun, was Mr. Aisgill von mir verlangt”, murmelte er und fügte mit einer kleinen Verbeugung hinzu: “Mylady.”
In diesem Jahr war es Anfang Oktober bereits viel kälter als sonst, doch das flackernde Feuer verbreitete wohlige Wärme. Seit Elinor dem heimatlosen Chad begegnet war, hatte sie unerklärlicherweise oft an ihn denken müssen. Sie hatte sich eine Närrin gescholten und sich wiederholt gefragt, was sie eigentlich in seinen bemerkenswert blauen Augen gesehen zu haben meinte. Sein Blick war derart irritierend gewesen, dass sie beschlossen hatte, Chad aus dem Weg zu gehen. Nur einmal hatte sie sich beim Stallmeister erkundigt, ob Chad noch in Campions weilte. Aisgill hatte ihr geantwortet, der Mann sei noch da und arbeite in den Stallungen. Danach hatte sie es vermieden, Chad noch einmal zu erwähnen, und war auch nicht mehr in den Marstall gegangen.
Sie klappte den Bericht des Landwirtschaftsministerium über ertragreichere Anbaumethoden zu, schaute die stickend vor dem Kamin sitzende Tante an und bemerkte beiläufig: “Ich frage mich, wie es dem Vagabunden ergehen mag, den Aisgill bei uns aufgenommen hat. Entschuldige, aber ich brauche frische Luft”, füge sie hinzu, legte das Buch auf ein Tischchen und stand auf. “Ich werde einen kleinen Spaziergang machen. Nein, hab keine Angst, Tante Annabelle. Zum Schutz nehme ich Sanders mit.”
Sie verließ den Salon, begab sich in ihr Ankleidezimmer und ließ sich von der Zofe in eine Redingote und schwarze Stiefeletten helfen. Anschließend ging sie in die Halle hinunter und trug dem Butler auf, ihr den Lakaien zu rufen. Sobald Sanders bei ihr war, wies sie ihn an, einen Schirm mitzunehmen, überlegte jedoch amüsiert, wie er ihn im starken Wind halten solle, falls er ihn öffnen musste.
Gefolgt vom Lakai, schlenderte sie durch das imposante Tor auf den Sattelplatz. Das Gestüt von Campions war im ganzen Land berühmt, da viele hier gezüchtete Pferde ständig die großen Rennen gewannen. Ein Stalljunge, der eines der Rosse striegelte, bemerkte sie, hielt in der Arbeit inne und erkundigte sich ehrerbietig nach ihrem Begehr.
“Wo ist Mr. Aisgill?”, fragte sie. “Ich möchte mit ihm sprechen.”
“Er ist in der Reitschule, Mylady. Soll ich ihn holen?”
“Danke, nein”, antwortete sie höflich, da sie auch den Dienstboten gegenüber stets einen korrekten Ton anschlug, und ging in das Hippodrom, in dem, wie immer zu dieser Stunde, die Pferde trainiert wurden.
Stuart sah sie den runden Kuppelbau betreten und näherte sich ihr mit strahlender Miene. “Wie schön, dass Sie zu uns kommen, Mylady”, sagte er herzlich. “In der letzten Zeit haben wir Sie hier vermisst. Haben Sie einen Wunsch, Madam?”
Suchend schaute sie durch die Halle und antwortete leichthin: “Ach, ich bin nicht aus einem besonderen Grund hier. Ich wollte mich nur vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Was haben Sie eigentlich mit dem Landstreicher gemacht, den Mr. Outhwaite uns vor vierzehn Tagen gebracht hat?”
“Was ich mit ihm gemacht habe?” Stuart war verdutzt und fuhr schmunzelnd fort: “Sie sollten mich besser fragen, was er gemacht hat und noch tut. Schauen Sie”, fügte er hinzu und wies auf einen Reiter, der einen Rappen im Kreis traben ließ. “Er exerziert Rajah.”
Chad hatte angehalten und saß aufrecht, in perfekter Haltung und ganz Herr des rassigen Hengstes, im Sattel. Aufmerksam geworden, drehte er den Kopf zum Stallmeister um und schaute die Countess of Malplaquet an.
“Sie lassen ihn Rajah reiten?”, staunte sie. “Kann er ihn denn kontrollieren?”
Stuart war sich bewusst, dass Chad ihn und die Countess beobachtete, und fand es ratsamer, die Stimme zu dämpfen. “Oh, er versteht es prächtig, mit Pferden umzugehen. Schon am ersten Tag hat er den Hengst, der sich losgerissen hatte, eingefangen und beruhigt. Kein anderer war dazu imstande. Einige Tage später bat er mich, ihn Rajah reiten zu lassen, und da ich miterlebt habe, wie geschickt er ihn gebändigt hat, gab ich ihm die Erlaubnis. Er behauptet zwar, sich an nichts
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